KKL (6) Eine Brücke als Museum, ein Museum als Brücke. Maurizio Sacripanti, italienischer Architekt (1916-1996), hat das Museo Civico in Maccagno, Italien 1979 entworfen. Eröffnet wurde es erst 1998, im Jahr der Eröffnung des KKL in Luzern. Stadtfragen war kurz vor Ort.

sta. Zwischen dem Entwurf und der Eröffnung des Museums “Paris-Valle”, unweit der Schweizer Grenze bei Locarno, vergingen, offiziell aus Kostengründen, nicht weniger als 19 Jahre. Erst 1998, im Eröffnungsjahr des KKL in Luzern, fand darin die erste Kunstausstellung statt. Der Hinweis auf Luzern hat einen Grund. Sacripanti hat bereits in den 1960er Jahren experimentelle städtebauliche Skizzen für die Zukunft Luzerns angefertigt (Architektur als Zeichensystem, Wasmuth, 1971).

Architektur und Landschaft

Das KKL und Sacripantis Museum haben zudem gemeinsame Entwurfsthemen: Die Lage am Wasser, das Thema der Architektur als Landschaft sowie die Bedeutung und Leistung eines architektonischen Systems aus Zeichen und Symbolen. In der Art, wie Sacripanti und Nouvel mit ihrer Architektur auf die Wahrnehmung einwirken und mitteilen, unterscheiden sie sich hier jedoch zwei unterschiedliche Generationen von Architekten aus zwei unterschiedlichen Ländern. Sacripanti’s italienische Architekturhaltung, die in der Nachkriegszeit gründet, nimmt das Repertoire einer plastischen Formensprache aus Beton zum Ausgangspunkt, um die gestellte Aufgabe, den vorgefundenen Kontext und die architektonische Interpretation des Museums als Brücke und vice versa lesbar zu machen: Die Terrasse ist ein stilisierter Landschaftsgarten, die Oblichter über den Räumen des Museum erinnern formal an bewegte Wellen und Wassertreppen, wie sie im Fluss und am Seeufer vor Ort vorkommen. Durch Ein- und Ausblicke wird nicht nur die Erschliessung, sondern auch der Innenraum des Museums als Brücke zwischen zwei Flussufern erlebt. Der Architekt und sein Werk treten, vereinfacht gesagt, als Sender einer entwerferischen Haltung und Botschaft auf, deren Bild- und Zeichenhaftigkeit bei aufmerksamen Betrachtung mehr oder weniger direkt wirkt. Wenn Sacripantis Architektur prototypisch, gleichzeitig virtuos und mit aktuellen Augen betrachtet, dadurch vielleicht etwas sehr didaktisch wirkt, so liegt dies womöglich auch daran, dass die betont zeichenhafte, sprich unmittelbar formal referenzierende Alltagsarchitektur in der Postmoderne bekanntlich zu einem beliebigen und weit verbreiteten Geschwätz über Formen und historische Referenzen wurde. Auch Sacripanti zitiert in Maccagno moderne Meister, sprich vor allem Le Corbusier: Die Umgebungsgestaltung und der Zugang zum Museum sind eine einzige Promenade d’architecture, die über Treppenstufen und Rampen an vier unterschiedlichen Gebäudeansichten vorbeiführt.

Vom Sender zum Moderator

Wie nun unterscheidet sich Jean Nouvels “Inclusion” in Luzern vom gleichzeitig eröffneten, sendebewussten Bauwerk in Maccagno? Der Hauptunterschied liegt wohl darin, dass Nouvel die gestellte Aufgabe und den Landschaftsbezug am Europaplatz architektonisch so inszeniert, dass sich der Betrachter nicht zuerst der Formensprache der Architektur vergegenwärtigt, sondern sich selbst als Betrachter einer bekannten Stadtlandschaft Luzern. Der Projektitel “Inclusion” bedeutete bereits in der Entwurfsphase, dass die kulturpolitische Aufgabe in Luzern selbsterklärend und programmatisch unter einem urbanistischen bzw. architektonischen Dach vereint werden sollte. Mit der in Postkartenfrom gestalteten Aus- und Einblicke der Hauptfassade beim Konzertsaal wurde auch das existierende Selbstbild der Stadt als touristische, vielleicht in barocker Manier etwas selbstverliebte Stadt- und Kulturlandschaft, ein fester Bestandteil dieser “Inclusion”. Eingeschlossen wurde nicht nur das Gebäude in die Landschaft, sondern ebenso der Betrachter in die Erzählung der Architektur. Architekt und Werk treten am Europaplatz deshalb nicht primär als Sender einer architektonischen Botschaft auf. Eher verstehen sie sich als strategisch und taktisch versierte Promotern und Moderatoren eines öffentlichen, primär politisch und nicht ästhetisch bzw. gestalterisch motivierten Kommunikationsprozesses. Mit anderen Worten: Sacripantis Sender-Empfänger-Modell erfährt beim KKL einen Stufenanstieg hin zu einem integrativen Modell, dass gleichzeitig von der einseitigen Information und dem zweiseitigen Dialog über die Geschichte und die Zukunft des Bauplatzes handelt. Intensifying the real nennt sich der entsprechende Entwurfsansatz in der Theorie der Architektur. Nicht (vordergründig) die plastische Form, sondern das (spiegelnde und dadurch entmaterialisierte) Bild der Architektur, die gebauten Fensterbilder, gleichsam Blicköffnungen und eine Anleitung für die Interpretationen im Auge des Betrachters sind es, die beim KKL von der Projektierung bis zum Bau eine oft bestaunte Akzeptanz bewirkten. Wie sonst wäre es dazu gekommen, dass 1994 eine Mehrheit an der Urne dem Baukredit zu einem Jahrhundertbauwerk zugestimmt haben?

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Die dreiteilige Gebäudestruktur und das alles verbindende Dach waren bereits in Jean Nouvels Bildprojekt, einer breitformatige Zentralperspektive, emblematisch als Zeichen und kulturell verankerte Symbole verwendet worden . Gezeichnet hat es der Pariser Gestalter Vincent Lafont. Um den künftigen Sinn und Zweck sowie die gewünschte Wirkung der Architekturdarstellung in der Kommunikation erkennbar und wirksam zu machen, stand im Bildprojekt KKL jedoch die Vision einer künftigen Stadtlandschaft des 21. Jahrhunderts im Vordergrund. Allein die Tatsache, dass der Bildanteil der Gebäude lediglich 18% beträgt, stützt diese These. Kommt hinzu, dass das markanteste architektonische Zeichen, das auskragende Dach, als  Horizontlinie und Spiegelfläche des Sees als Bauteil dargestellt und dadurch quasi unsichtbar ist. Seit der Fertigstellung bietet sich im Foyer des Konzertsaals mit Blick auf die Bauten des 19. Jahrhunderts der Selbstversuch an, ob Nouvels narzistisches Spiel um Aufmerksamkeit tatsächlich nicht nur im Bild, sondern auch am Bau funktioniert.

Visionär, Professor, Autor

Nimmt man so das Luzerner KKL auf diese Weise gedanklich mit auf die Reise nach Maccagno, mag Sacripantis betont zeichenhaftes Bauwerk mit Eröffnungsdatum 1998 etwas stilverspätet anmuten. Maccagno ist dennoch ein wunderbarer Ort, um vor Ort an die (anachronistische?) Diskussion über Semiotik in der Architektur, über Zeichen und Symbole in der Architekturproduktion zu erinnern.  Im Sommer ist Maccagno dazu noch ein sehr beliebter Badeorte.

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Der römische Architekt Maurizio Sacripanti (1916-1996) entwickelte seit den 50er Jahren eine grenzüberschreitende, visionäre Architektur: in seinen Entwürfen, seinen realisierten Bauten und seiner nachhaltig wirkungsvollen Tätigkeit als Professor und Autor. Zu den großen Entwürfe und Wettbewerbsprojekten gehören, neben dem realisierten Museo Civico in Maccagno, der Peugeot-Wolkenkratzer für Buenos Aires, das neue Teatro Lirico in Cagliari und der Italienische Pavillon für die Expo ´70 in Osaka. Im Pavillon-Entwurf kommt seine Art, dynamische Raumkonzepte und interdisziplinäre Entwurfspraxis zu einer “veränderbaren Muskulatur der Architektur” zusammenzubringen, wohl am besten zum Ausdruck. In einer von der Wiener Kiesler Stiftung 2006 herausgegebenen Schrift über Maurizio Sacripanti stellt Boris Podrecca die Arbeit und Wirkung Sacripantis zudem neben die Künstlergruppe Archigram: “realutopisch, technisch machbar, vom Geist des Pragmatismus beseelt”.

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