Venedig macht vor, wie die Stadt des permanenten Untergangs nach den Regeln des Sightseeings als Hülle und Objekt vermarktet wird. Ein Augenschein vor Ort.
Venezia. Sightseeing ist nichts anderes als ein sich Vergewissern vor Ort. Venedig besuchen jährlich 20 Millionen Touristinnen und Touristen um zu sehen, was Sie in den meisten Fällen schon kennen: den Markusplatz, die Gondeln, die Gassen, den Blick auf die Seufzerbrücke. Auch die Tatsache, dass die Stadt unterzugehen droht und dass sie schrumpft, macht den Mythos Venedig attraktiv: Immer weniger Venezianer leben in ihrer Stadt. Bei knapp 60’000 EinwohnerInnen verliert die Stadt rund 2’000 im Jahr. Statistisch droht die Lagunenstadt Venedig, die nach ihrem wirtschaftlichen Niedergang im 18. Jahrhundert zum meistbesuchten Reiseziel Europas geworden ist, zur blossen Kulisse zu werden. Zu werden? Sie ist es schon, wie das Beispiel Seufzerbrücke demonstriert: Der berühmte Blick auf das historische Denkmal ist im Zuge einer Baustellenwerbung zum Werbeauftritt für Lancia geworden. In der Diskussion um das Bild der Stadt, das hier offensichtlich ein temporäre Veränderung erfahren hat, ist es einfach, den Untergang Venedigs nun auch kulturell zu beklagen. Die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, die für alle Beteiligten erfogreiche Repräsentation der kapitalistischen Gier im urbanen Raum, wird damit jedoch nicht besonders innovativ zum Ausdruck gebracht, im Gegenteil: Der Untergang der Lagunenstadt gehört bekanntlich längst zum Mythos Venedig, und er ist hier als touristischer Markt- bzw. Markenwert einmal mehr perfekt inszeniert worden. Lancia, der Stadt und den Investoren ist ein “Win-Win-Auftritt” gelungen, nicht mehr und nicht weniger: Der Mythos der italienischen Sportmarke Lancia wird dadurch vielleicht noch etwas unsterblicher.
Die Stadt als Bild
Akzeptiert man an diesem Beispiel nur die Diskussion um das Werbeplakat als zeitgemässen Ausdruck eines Stadtbildes, dann kann man die Aktion, ganz im Sinn von Erich Mendelsohn, wie Martino Stierli im Artikel in der NZZ vom 1.11.2008 “Die Stadt als Bild” ausführt, durchaus so oder so beurteilen: Einerseits wirkt ihre “phantastische Schönheit” bei Nacht, und erst bei Tageslicht überwiegt der Eindruck, dass hier eine ganz und gar “grandiose Tölpelei des Weltjahrmarktes” aufgeführt wird. Ernst ist die Sache in der “Stadt des Auges und der Bilder” (Gerhard Mack) allemal, vor allem dann, wenn Goethe Recht haben sollte: