Authentizität ist in der Wahrnehmung und Beurteilung von Architektur en vogue. Architektonische Authentizität ist dabei nicht den ArchitektInnen vorbehalten. Sie entsteht, gewinnt oder scheitert im Koordinatensystem in Relation zur Beziehungsqualität eines Vorhabens: im Spagat zwischen AutorInnen, den Wünschen der Bauherrschaft, der öffentlichen Wahrnehmung und der Einzigartigkeit einer Bauaufgabe.

sta. Im Medienzeitalter interessieren Köpf mehr als Inhalte – Mediokratie heisst das Phänomen (Meyer). Dann, wenn das Denken, Handeln und Mitteilen in der Politik und in der Verwaltung nach den Spielregeln der Medien passiert: Im Zentrum steht dann die Person, ihre aussergewöhnliche Idee, ihre Glaubwürdigkeit, Qualität und der Mehrwert ihrer Einzigartigkeit. Das Zauberwort dazu heisst “Authentizität”. Als politisch glaubwürdig und mächtig gilt, wer ausdrücklich von sich spricht. Peter Schneider hat dies im Tagi vom 22.10.08 so kommentiert: “Die öffentliche Sphäre wird auf diese Weise privatisiert bzw. psychologisiert. Statt mehr Worte gibt es mehr Selbst.” Kritisch ist diese Tendenz deshalb, weil je authentischer (d.h. identischer mit sich selbst) das Handeln und Auftreten ist, desto leerer wird es von der Umwelt wahrgenommen. Nachrichten und Entscheidungen aus der Politik drohen deshalb im Zustand der Mediokratie zu einem narzistischen Austausch zu werden. Jeder und jede versteht eigentlich nur noch sich selbst. Diese Art der Selbstdarstellung geniesst zwar die öffentliche Wahrnehmung und Präsenz und führt zum politischen Erfolg, sie bleibt jedoch weitgehend beziehungsunfähig.

Macht zuviel Ego blind?

Stimmt die Diagnose der Mediokratie auch für das Denken, Entwerfen, Bauen und Vermitteln von Architekur und Stadt? Der weitgehend auch medial begründete Aufstieg der globalen Architekturstars, scheint zumindest nicht dagegen zu sprechen. Die viel zitierte und geforderte Authentizität im Entwurf und in der Beurteilung von Architektur macht deshalb möglicherweise nicht nur berühmt. Sie kann auch zur Bedrohung werden, vereinfacht formuliert: Wer Architektur denkt, entwirft und baut und dabei einseitig auf den Austausch mit sich (oder einem engen Kreis von Gleichgesinnten) setzt, neigt zur Beziehungsunfähigkeit. Und die nicht professionellen BetrachterInnen von Werken, die aus narzisstischer Selbstverwirklichung heraus entstanden sind, bleiben blind. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Sprachlich ist der Anspruch, authentisch zu Bauen, durch Begriffe wie AutorenarchitektInnen,  Markenarchitektur oder Coporate Architecture präsent. Es gilt abzuklären, an welchem Punkt die Forderung und das Verlangen nach Authentizität in der Architektur, der Spagat zwischen nachhaltiger Qualität und zugespitzter, kreativer Selbstverwirklichung noch gelingt. Dies, bevor eine Quartierentwicklung oder ein Bauwerk hauptsächlich beziehungslose Selbstdarstellung, Leere im Auge des Betrachters oder lediglich zynische Kritik und Klischees bedienen.

Kurvendiskussion_traum
D1. Ein Traum mancher ArchitektInnen: Der lineare Weg in den Himmel führt über Qualität (y) und auf sich selbst bezogene Authentizität im Entwurf (x). Kurz: Je authentischer ein Gebäude, desto besser ist es. Diagramm: Stadtfragen 2011

Versprechen am Marketinghimmel

Wie verhält es sich nun aber mit der Vorstellung, dass Architektur umso besser wird, je authentischer sie den Ideen des Architekten oder der Bauherrschaft entspricht? Das Versprechen, dass der Weg in den Architekturhimmel des Marketings über Qualität und Authentizität führt (vgl. Diagramm), ist zu einfach. Nur schon deshalb, weil der Austausch den am Bau Beteiligten bekanntlich kein linearer Steigerungslauf ist, sondern eher ein Abnützungskampf. Der Drang nach Selbstverwirklichung einer Partei steht dazu besonders quer. Vielleicht ist es deshalb zielführender, Authentizität im Koordinatensystem auf der Y-Achse mit der Beziehungsqualität auf der X-Achse in Relation zu setzen (vgl. Diagramm 2). Das würde bedeuten, dass dort, wo die Spitze der Architektur ihre seltenen guten Beispiele hervorbringt, die am Bau Beteiligten es besonders gut geschafft haben, die Authentizität einer Bauaufgabe nicht a priori dem Architekten zu überlassen, sondern kooperativ, im Prozess der Zusammenarbeit, zu erfinden. Mit anderen Worten gelte für die Authentizität in der Architektur das, was Dürrenmatt in “Die Physiker” so beschreibt: “Wenn ein einzelner für etwas eine Lösung sucht, das andere betrifft, wird er scheitern.”

 

D2. Dort, wo Authentizität und Beziehungsqualität auf die Spitze getrieben werden, treffen sich Erfolg, Aufmerksamkeit und drohender Absturz gleichzeitig. X-Achse = Beziehungsqualität. Y-Achse = Authentizität. Diagramm: Stadtfragen 2011

Erfolg und mediale Niederlage

Nicht nur BergsteigerInnen wissen: Auf Bergspitzen ist der Platz beschränkt und die Luft dünner. An der Spitze zu sein, kann sich einsam anfühlen. Und wo es nicht weiter hinaufgeht, droht noch der Absturz. Alleine auf dem Gipfel der architektonischen Authentizität zu scheitern, heisst, Inhaltsleere und Blindheit zu bewirken. Wenn dem so ist, dann ist in der Architektur die Ausrichtung auf die Regeln der personalisierten medialen Marken- und Medienwelt eine Abkürzung dorthin, wo die Beziehungsqualität vollends verkümmert. Wer versteht genau, was Valerio Olgiati in seinem Werbeauftritt für V-ZUG, anmutig durch die Küche schlendernd mit “Perfektion that you can feel” genau sagen will? Authentizität zielt hier in den Köpfen der KonsumentInnen auf eine Sache: Die Verbindung des berühmten Namens Olgiati mit einer Produktmarke. Ob das gelingt?

Architektinnen und Architekten haben in der zunehmend personalisierten Mediengesellschaft mit dem Programm der Authentizität einen Mehrwert für sich entdeckt. Das muss nicht schlecht sein, wenn das Versprechen der Authentizität nicht ausschließlich darin gemessen wird, ob die eigenen Ideen verstanden und umgesetzt werden. Denn auf diesem Weg sind die GipfelstürmerInnen der Authentizität schon mehrfach gescheitert, auch aufgrund fehlender Kooperation. “Der Sieg der medial auftrumpfenden Architektur ist ihre bitterste Niederlage”, wie Gerhard Matzig von der Süddeutschen Zeitung dazu einmal gesagt hat (HPT, 11/2008)