Die Luzerner Allmend wird zur grünen Mitte für Luzern, Kriens und Horw – inklusive Jazzklub und Hochschule für Musik.

NZZ, 10.09.2020 / In der Stadt Kriens, direkt an die Stadt Luzern angrenzend, zirpt es im Gras und geigt es aus den Fenstern: Neben dem «Metzgercenter Zentralschweiz» beziehen die Abteilung Musik der Hochschule Luzern und das Luzerner Sinfonieorchester gleichzeitig zwei Neubauten. So hat die Musikstadt Luzern wieder Grund zum Feiern, nachdem die «Salle Modulable» 2016 politisch abgestürzt war. Die Hochschule konzentriert die Institute Jazz, Klassik und Kirchenmusik, Neue Musik und Musikpädagogik an einem Standort und erfindet gleichzeitig den «Kampus Südpol»: Das «K» kommt von Kultur. Das Sinfonieorchester erhält endlich sein Orchesterhaus mit einem Probensaal in feinster Eiche und Räumen für die Musikvermittlung. Was hier in einem Streich an Infrastruktur, Talent und Wissen zusammenfindet, bewegt Musikfreunde, ist in der Schweiz einmalig und bringt gleichzeitig die internationalen Ambitionen zum Ausdruck. Bereits vor Ort sind der Kulturbetrieb Südpol, das Luzerner Theater und die Musikschule der Stadt Luzern. Nicht ganz 100 Millionen Franken wurden mit den Neubauten investiert. Sie kommen architektonisch solid daher, allerdings bieten sie dem Ort keine städtebaulich überzeugende Adresse an. Von unschätzbarem Wert ist die direkte Nachbarschaft zur Allmend: Sie ist Park- und Naturlandschaft, ein für Mensch und Tier wertvoller Lebensraum und – als grüne Mitte zwischen Luzern, Kriens und Horw – die eigentliche Bühne für die bauliche Stadtentwicklung.

Krisenerprobtes Gelände

Im Covid-19-Frühling hat die Allmend bewiesen, dass sie krisenresistent ist: Über Nacht waren auf Platz plötzlich nicht mehr Jogger und Hündeler in der Mehrheit. Mit dem nationalen Ausnahmezustand und der Schliessung der Seepromenade kamen weitere Freizeitdisziplinen dazu: Grillen, Golfen, Biken, Kampfsport, Yoga. «Noch bevor wir planmässig unsere neuen Parkranger einsetzen konnten, wurde die Allmend von Menschen fast überrannt», berichtet Stefan Herfort, Bereichsleiter Natur- und Landschaftsschutz bei der Stadt Luzern. Er weiss, dass Veränderungen auf der Allmend zu ihrer Geschichte gehören: Ab 1918 militärischer Fliegerstützpunkt, wurde sie erst später zum Spiel- und Sportplatz und Messegelände. Seither wird die Allmend mit einem wiederkehrenden Programm bespielt: LUGA, Zirkus Knie, Messen, FCL-Fussballspiele. Ab und an gibt es ein eidgenössisches Fest, besondere Ereignisse oder Kuriositäten. Papst Johannes Paul II hatte 1984 seinen Auftritt. Im letzten Jahr reisten für einen Firmenausflugs an einem Tag nicht weniger als 4 000 Chinesinnen und Chinesen in 95 Bussen an.

Die letzten Überreste des ehemaligen Infanteriegeländes sind heute verschwunden / Stadtfragen 2011

Und es ging in der Geschichte auch kämpferisch zu und her: Dem Widerstand der Armee ist es zu verdanken, dass die Stadt Luzern in den 1950er Jahren nicht einen Drittel der Allmend an die Firma Schindler verkaufen konnte. Noch keine zehn Jahre sind es her, dass der Übungsplatz der Infanterie als Kampfplatz zwischen politischen Behörden, der Polizei sowie rechten und linken Gruppen ungeplant Schlagzeilen machte: Argumente wurden mit Mauersteinen, Spraydosen, illegalen Partys, Vorschriften, Anzeigen und gutem Zureden ausgetauscht. Heute ist es im westlichen Teil der Allmend ruhig. Es bellen, singen und quaken fast nur noch Hunde, Vögel und der Gelbbauchunke.

Auftritt der hohen Häuser

Die heutige Luzerner Allmend ist das Resultat einer vorausschauenden Planung. Projekte wie das neue Fussballstadion,  Neubauten für die Messe Luzern und die unterirdische Verlegung der Zentralbahn erforderten, ab 2005 einer tragenden Idee für den Zwischenraum zu folgen: «Aus den bisherigen Restflächen wurden vernetzte Natur-, Erholungs- und Freizeiträume. Sie bilden heute das Rückgrat im Landschaftspark Allmend», erklärt Herfort die Kehrtwende, die über Jahre schrittweise umgesetzt wurde. Die oberirdische Schiessanlage, Tonnen von Altlasten, die Pferderennbahn und die Infanteriebunker sind verschwunden. Hinzugekommen sind markante Neubauten, das «Indoor Schiesssportzentrum», Spiel- und Trainingsplätze, eine Hundezone sowie zahlreiche, ökologisch wertvolle Gebiete zur Erholung.

Zur Allmend gehört auch das Naturparadies auf dem ehemaligen Schiessgelände / Stadtfragen 2020

Mit etwas Fantasie erinnert ein Spaziergang vor Ort an den Besuch im Central Park in New York. Auch der Landschaftspark Allmend ist eine grüne Lunge für die umgebende Siedlung, ein Verkehrsraum und sie bietet Platz für verschiedenste Nutzungen. Zudem hat man hier ebenfalls eine gute Aussicht auf die Höhenflüge der Stadtentwicklung in Luzern, Kriens und Horw. Auf der Allmend überzeugen zuerst die Gebäude des Armee- und Ausbildungszentrums beim Eichwald, ja: Robert Zünd hat hier 1882 ein gleichnamiges Bild gemalt. Alt und Neu sind hier architektonisch unaufgeregt in der jeweiligen Bauzeit verankert. Die Zwillingstürme «HochZwei», die mit dem Fussballstadion und dem Sportgebäude im Osten ein Ensemble bilden, sind aufgrund ihrer ikonischen Wirkung nicht mehr von diesem Ort wegzudenken. Auch das neue, glitzernde Wohnhochhaus in Horw Mitte funktioniert noch als entfernte Landmarke. Die grösste bauliche Veränderung spielt sich gegenwärtig im Quartier Mattenhof ab, am westlichen Rand der Allmend, beim neuen Krienser Stadtbahnhof. Schrebergärten, Hochhäuser, McDonald’s, Hundeschule und Pferdeschuppen sind hier direkte Nachbarn. Das geplante 110 Meter-Hochhaus der «Pilatus Arena» ist sogar in der weit entfernten Sauna hoch über dem Fussballstadion ein Thema. Je höher gebaut wird, umso kritischer schaut man sich eben dabei zu. Dazu sollte man wissen: Bei der Planung des «HochZwei» 2007 – notabene auf Luzerner Stadtboden – waren in der Ebene am Fuss des Hausbergs Pilatus 88 Meter Gebäudehöhe landschaftsverträglich.

Architektur als Landmarke: die Sportarena mit den Wohnhochhäuser “HochZwei” / Stadtfragen 2020

Überwindbare Grenzen

Mit 349 Hektar nimmt der Central Park in New York etwa sechs Prozent der Bodenfläche Manhattans ein. Die Luzerner Allmend entspricht mit rund 100 Hektar etwa einem Prozent der Bodenfläche von Luzern, Kriens und Horw. Auch im Vergleich der baulichen Dichten bleibt die Allmend ein beschaulicher Ort. Der «Kampus Südpol» ist hingegen für den Landschaftspark weitaus mehr als nur ein Anhängsel. Zu Sport, Freizeit, Erholung und Wirtschaft gesellt sich mit einem Paukenschlag noch mehr Kultur dazu. Die zwei Neubauten – der eine ist in Stein, der andere in Aluminium verkleidet – sind eine Co-Produktion der Architekten Enzmann Fischer & und Büro Konstrukt AG. Zum Raumprogramm der Musikhochschule gehören Probe- und Unterrichtsräume sowie drei Säle, einer davon ist modular (sic) nutzbar, der Club «Knox» hat Anschluss an ein Bistrot. Hohe akkustische Anforderungen und damit viel Sichtbeton sowie eine stringente Baustruktur machnen die Architektur aus. Sehenswert sind die grosse Halle, die Bibliothek und der Konzertsaal «Salquin».

Der Neubau der Hochschule Luzern – Musik, Parkansicht / Bild: zVg
Das Wettbewerbsprojekt von Caruso St John Architects, sah 2014 eine Öffnung des Parks vor. Bild: zVg

Und wie nutzt der «Kampus Südpol» die Allmend als Bühne? Zurückhaltend und mit klaren Grenzen. Auf die «eher kraftlose Parkansicht» des Neubaus der Musikschule hatte schon die Wettbewerbsjury 2014 hingewiesen. Der fertige Bau hinterlässt denselben Eindruck, trotz über das Dach herausragenden «Klangtürmen». Von der Musikschule aus führt ein Trampelpfad direkt in den Landschaftspark. Geschlossene Hecken verhindern auf Fussgängerniveau direkte Sichtbeziehungen, und die Veloautobahn «Freigleis» bildet eine klare Grenze. Dennoch werden wohl die über 500 Studierenden und Gäste – nach unzähligen Übungsstunden oder einem Konzert im neuen Jazzclub «Knox» – die Allmend als Pausenplatz oder sogar als Aufführungsort entdecken. Luzerns heimlicher Central Park und die Stimme des Gelbbauchunken sind auch dafür gut vorbereitet.

Der Artikel ist NZZ online und in der Printausgabe vom 10.09.2020 erschienen.