Stadtfragen hat mit Caspar Schärer, Generalsekretär beim Bund Schweizer Architekten BSA, über Stadtbildkommissionen in der Schweiz gesprochen.

Sie sind das Gewissen der guten Baukultur in der Schweiz: Stadtbild- oder Stadtbaukommissionen, zusammengesetzt vor allem aus Architekten/innen, Chefbeamten und Mitgliedern politischer Behörden. Die Gremien diskutieren und beurteilen Planungen und Bauprojekte mit dem Ziel, diese zu verbessern, zu bewilligen oder dann eben zu verhindern. 2017 organisierte der Bund Schweizer Architekten (BSA) eine Tagung zum Thema. Die daraus gesammelten Erkenntnisse sind in die Publikation «Stadtbildkommissionen – Fundamente der Baukultur» eingeflossen. Im Mittelpunkt stehen neben Interviews eine grafische Schweizerkarte und 22 schematische Porträts zu einzelnen Orten und deren Gestaltungsbeiräten. Der BSA nennt die Zusammensetzung der jeweiligen Kommissionen “funktionale und personale Kompositionen”. Rund 100 Städte und Gemeinden sind kartiert. Lob und Tadel verteilt der BSA grafisch: Orte ohne einen Gestaltungsbeirat sind rot markiert.

Caspar Schärer: Wie steht es um die Baukultur in unseren Städten und Gemeinden? Das ist sehr unterschiedlich. Viele Städte pflegen eine gewisse Baukultur, weil das aus ihrem Selbstverständnis heraus eine Tradition ist.

Und was ist mit dem Land? Auf dem Land herrscht tendenziell ein etwas lockereres Verhältnis zur Baukultur – es kommt allerdings sehr auf die einzelne Gemeinde an. Das Vorurteil hält sich hartnäckig, dass Baukultur ja nur kostet und der Mehrwert nicht auf Anhieb ersichtlich ist – oder er wird nicht erkannt. Kommt hinzu: Auf dem Land sind die qualitativen Fragen im Planen und Bauen noch nicht so drängend. In der Stadt hingegen ist das Bewusstsein dafür grösser, dass etwa die Frage der inneren Verdichtung nur noch mit baulicher Qualität zufriedenstellend lösbar ist.

Wird sich das ändern, wenn immer mehr Städter auf’s Land ziehen? Nein, das glaube ich nicht. Eher dann, wenn die Landgemeinden immer mehr mit städtischen Problemen zu tun haben, z. B. über kein zusätzliches Bauland mehr verfügen und dann die Fragen der Qualität einer baulichen Verdichtung angehen müssen, kurz: Der Städter auf dem Land macht alleine noch keine Stadt!

Was haben Sie bei der Arbeit an der Publikation etwas Neues über Stadtbildkommissionen erfahren? Weil wir uns mit einem Thema schweizweit befasst haben, ist insbesondere die unglaubliche Vielfalt aufgefallen, die wir angetroffen haben: Eigentlich gibt es nur Speziallösungen. So ist interessant, wie die Städte und Gemeinden das Thema der gestalterischen Fachkommissionen auf ihre ganz eigenen Bedürfnisse zuschneiden. Viele Situationen sind aus einer Tradition heraus gewachsen. Es war für mich dennoch verblüffend, wie vielfältig die Schweiz ist – für mich war dies sogar die wichtigste Erkenntnis.

Die Zusammensetzung der Beurteilungsgremien ist in der Schweiz vielfältig.

Kann man dennoch allgemein erklären, was eine Kommission ist, die sich um die Baukultur sorgt? Bei der praktischen Arbeit an der Karte mussten wir uns oft entscheiden, was noch als Kommission gelten kann und was nicht. Ob all der Zwischenformen mussten wir dabei auch entscheiden: Nein, das ist jetzt wirklich keine Kommission mehr. Ein wichtiges Kriterium, das eine Kommission zu einer Kommission in unserem Sinn macht, sind externe Expertinnen und Experten. Das haben wir ja dann auch in der Infografik so dargestellt. Wir meinen, dass erst Leute, die von aussen auf eine Sache schauen und Experten in ihrem Fach sind, eine echte und ernst zu nehmende Stadtbildkommission ausmachen. Es reicht dazu übrigens auch nur ein Mann oder eine Frau.

Wie gross muss der Leidensdruck sein, dass ein politisches Gremium überhaupt eine solche Aussensicht zulässt? Ich kann nicht bestimmt sagen, ob der Entscheid mit Leidensdruck zu tun hat. Ich glaube, es geht hier eher um eine Frage der politischen Kultur. Vielleicht wirkt vor allem der Umstand, dass eine lokale Behörde sogar ganz froh darum ist, in umstrittenen Baugeschäften von aussen eine Expertise zu erhalten.

Sehen Sie als Architekt einem Ort an, ob hier die politischen Behörden und Grundeigentümer in Sachen Bauen von einem Fachgremium beraten werden? Nein. Das kann ich ehrlich nicht von mir behaupten, dennoch: Es soll Kollegen/innen geben, die aufgrund des Gebauten erkennen können, was in der lokalen Bauordnung steht. Ich kann das nicht – Sorry!

In der BSA-Publikation wird die unterschiedliche fachliche und personale «Komposition» von Stadtbildkommissionen untersucht. Was sind die drei wesentlichen Merkmale? Wichtige Merkmale für die Beurteilung der Kommissionen sind, ob die Politik dabei ist und wie gross die Anzahl der auswärtigen Experten/innen ist. Schliesslich spielt eine Rolle, wie es sich mit der Diversität der Berufe und der Geschlechter verhält. Letztere entspricht etwa der Situation im Berufsstand der Architekten. Der Frauenanteil bewegt sich etwa um die 20 Prozent – was natürlich viel zu wenig ist.

Welche Spezialität ist besonders auffällig? Man könnte die Stadt Genf nennen. In der Grafik ist schön zu sehen, weshalb: In Genf sitzen ausschliesslich elf Experten in der Kommission. Die Politik ist nicht vertreten. Die Kommission erscheint vielleicht auch deshalb speziell, weil der Genfer Staat, weil die Gemeinde-autonomie in Genf anders funktionieren als im Rest der Schweiz. Die Commission d’architecture, wie das Fachgremium in Genf heisst, ist auch deshalb interessant, weil sie nicht nur Projekte beurteilt, sondern auch initiiert. Bekanntes Beispiel ist die Studie zum Potential von Dachaufstockungen im Stadtzentrum. Die Kommission übernimmt neben einer beratenden auch eine inhaltlich aktive Rolle ein, indem sie eigene Themen setzt.

Haben Sie auch untersucht, ob und in welchem Mass das (meist unterbezahlte) Mandat von Architekten/innen als Akquisition verstanden und gelebt wird? Nein. Aber ich hoffe nicht, dass dies so ist, weil das Instrument der Kommission ganz einfach nicht dazu gedacht ist. Kommissionsmitglied zu sein, bedeutet, eine demütige Rolle einzunehmen, eine Rolle im Dienst der Gemeinschaft und der Gesellschaft. Der Dienst am eigenen Architekturbüro hat da keinen Platz. Eine politische Kommission ist nicht dafür da, dass Mitglieder für sich Aufträge akquirieren.

Sie sagen “ich hoffe”, was ist Realität? Ich gehe davon aus, dass die Realität meiner Hoffnung entspricht. Man darf dabei nicht vergessen: Die Arbeit in einer Stadtbildkommission ist nicht glamourös, schon eher harte Knochenarbeit. Der Gegenstand, mit dem man es zu tun hat, sind mehrheitlich Fragestellungen zu unter-, bzw. durchschnittlichen Bauprojekten. Es braucht für diese Arbeit daher vor allem die Freude daran, auch im Mittelmass nach den Qualitäten zu suchen: Darin besteht die eigentliche Arbeit in einer Stadtbildkommission. Es mag in gewissen Gemeinden so sein, dass es auch um Informationen geht und um einen entsprechenden Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Das ist aber nur eine Vermutung. Die Frage nach der Motivation der Kommissionsmitglieder, ein Amt anzunehmen, haben wir bei der Umfrage nicht erhoben.

Die Definitionsmacht zu entscheiden, was gut und schlecht ist, haben in den Behörden auch Chefbeamte. Sie treffen bei den Bauprojekten oft eine Vorauswahl. Welche Rolle spielen sie neben den Kommissionen? Es ist schon so, dass die Fachkommissionen tatsächlich nur die Spitze sämtlicher Bauprojekte zu Gesicht bekommen. Am Beispiel von Basel haben wir den Mechanismus der internen Vorauswahl, auch Triage genannt, aufgezeigt: Nur gerade zehn Prozent der Baueingaben werden in Basel letztlich noch von der Kommission beurteilt.

Kennen sie das Beispiel einer Gemeinde mit guter Baukultur, die auf eine externe Fachkommission verzichtet, z.B. Vals? Ja, Vals! Dieser Ort lag unter meinem Radar, d.h. wir haben hauptsächlich Gemeinden mit bis zu 15’000 Einwohner/innen angeschaut. Aber Lausanne hat keine Stadtbildkommission, was sehr bedauerlich ist. Ich habe mir aber sagen lassen, dass Bestrebungen im Gang sind, dass sich das ändert. Ich muss allerdings festhalten, dass die ganze Westschweiz schlecht mit Kommissionen dotiert ist, wie wir sie uns als BSA vorstellen.

Ist deshalb die Baukultur dort schlechter? So pauschal lässt sich das nicht sagen. Wir haben auf unserer Schweizkarte noch andere Orte kartiert, wo es keine beratende Fachkommission für gutes Bauen gibt: Lugano oder Bellinzona zum Beispiel. Wie wir die Resultate unserer Untersuchung darstellen, gleicht in der Kartierung der Schweiz bewusst auch einem Namingund Shaming von Gemeinden und Städten.

Das heisst? Orte, die keine oder noch keine Fachkommissionen haben, sind rot markiert.

Was sind die drei Dinge, die man als Stadtbild- oder Stadtbaukommission tun bzw. lassen soll? Der erfahrene Zürcher Architekt Willi Egli hat im publizierten Interview dazu eine Antwort gegeben. Er plädiert darin für Öffentlichkeitsarbeit, gemeint ist eine Kommissionsarbeit, deren Empfehlungen oder Entscheidungen öffentlich mitgeteilt werden. Für mich ist das ein interessanter Ansatz, aber noch lange kein Must. Dann sind, wie bereits erwähnt, die externen Expertinnen und Experten sehr wichtig. Und schliesslich ist ein Vertrauensverhältnis zwischen den Experten und der Politik für eine zielführende Kommissionsarbeit besonders wichtig, kurz: Die Politik muss das wollen und mittragen. Schliesslich bin ich der Meinung, dass eine seriöse Entschädigung auch zu einer guten “Komposition” gehört.

Auf der anderen Seite sollte man die Akquisition sein lassen, weil eine Kommission niemals Einzelinteressen dient. Das Gremium ist in seinen Empfehlungen und Entscheidungen nur als Gruppe legitimiert. Es kann daher nie um die eigene Profilierung gehen. Das ist wirklich ganz entscheidend.

Gute Baukultur oder gute Planung werden oft mit dem Argument der nachhaltigen Gestaltung geschmückt. Weshalb setzt sich der BSA nicht dafür ein, dass in Stadtbildkommissionen auch Soziologen, Ökonomen und Verkehrsplaner sitzen? In vielen Kommissionen sitzen neben den Architektinnen oft auch Landschaftsarchitekten und andere Experten aus gestalterischen Bereichen. Es gibt auch Kommissionen mit Immobilienökonomen oder Baumeistern. Wir setzen uns als Architektenverbund für Diversität ein, unser Fokus liegt aber naturgemäss bei der Architektur.

Baukultur ist demnach alleine eine Angelegenheit der Architektenschaft? Ich glaube, man muss die Dinge etwas auseinanderhalten. Mit weiteren Experten am Tisch wäre das Gremium keine Stadtbildkommission mehr. Man kann zwar Bauprojekte mehr oder weniger breit betrachten. Nur: In den Kommissionen geht es letztlich um die baulichen Themen. Würde man den Kreis erweitern, dann hätten wir dann so etwas wie eine vorgeschaltete politische Kommission, für die verschiedene Experten zusammengestellt werden. Wahrscheinlich wären die Themen dann eher von strategischer Natur. Anders bei Stadtbildkommissionen: Bei einem einzelnen Baugesuch kann der Verkehrsplaner nicht wirklich etwas zur Diskussion und Empfehlung beitragen.

Oft sind in den Kommissionen nicht nur Einzelbauten, sondern ganze Arealüberbauungen das Thema! Deshalb werden in diesen Fällen weitere Spezialisten zugezogen. Und der BSA setzt sich ja auch generell für eine fachliche Diversität und für eine fachübergreifende Zusammenarbeit ein: Nur bei Stadtbildkommissionen würden mehr Fachspezialisten zu einer komischen Vermischung führen. Vergessen wir nicht: Bei den Baugesuchen handelt es sich letztlich um einen Verwaltungsakt und die Kommissionsarbeit bedeutet eine Art vorgezogene Zusatzschlaufe. Man könnte die Erweiterung trotzdem versuchen, hätte dann aber wohl unendlich lange Sitzungen.

Ein aktuelles politisches Thema in der schweizerischen Raumentwicklung ist das Bauen ausserhalb der Bauzonen (Stichwort: RPG 2). Gibt es Beispiele für Kommissionen, die dort für Baukultur sorgen? Nennen wir sie “Landbildkommission”? Ich kenne sie nicht, würde es aber begrüssen, wenn es sie gäbe. Bauen ausserhalb der Bauzone ist für uns ein wichtiges Thema. Vielleicht lässt sich die Idee der Stadtbildkommissionen sogar auf das Land ausserhalb der Bauzonen übertragen. Die Zusammensetzung wäre dann allerdings eine andere und die Architekten nicht mehr so prominent vertreten. In einer Landschaftskommission (oder so ähnlich) müssten unterschiedliche Vertreter aus der Landwirtschaft und Landschaftsschützer vertreten sein. Allerdings müsste man genau hinschauen, wo man sich befindet: in touristischer Umgebung oder in der traditionellen Landwirtschaft. Unbestritten wichtig wäre es, ausserhalb der Bauzonen mehr Planung im Sinn der Baukultur zu haben.

Gibt es schon eine Institution, die sich dem Thema wirklich annimmt, z.B. der Landschaftsschutz? Der Landschaftsschutz hat natürlich seine ganz eigene Position, wenn es um das Bauen geht. Es müsste eine Instanz sein, die ausserhalb der Bauzonen allparteilich im Sinn der Baukultur beraten oder wirken kann. Wie der Landschaftsschutz haben auch die Bauern ihre eigenen, legitimen Interessen. Das Thema Baukultur ausserhalb der Bauzonen müsste daher irgendwo dazwischen diskutiert und mit guten Lösungen abgewogen werden können.

Wie viele Kommissionen gibt es in der Schweiz eigentlich? Der BSA hat mit seiner Studie rund 100 Städte, davon 84 mit über 15’000 Einwohnern angeschaut. Wir haben dabei auch kleinste, eher ländliche Gemeinden angetroffen, die einen Gestaltungsbeirat einsetzen. Darin zeigt sich eine ganz wichtige Erkenntnis: Sich mit Hilfe von Expertinnen und Experten für Baukultur in der Schweiz einzusetzen, ist keineswegs eine Frage der Grösse einer Siedlung.

Liegt es nicht ganz einfach auch am Begriff der “Stadtbildkommission”, der auf dem Land eher Zurückhaltung auslöst? Ländliche Gemeinden haben einen gewissen Respekt vor dem Begriff “Stadt”, oder sie wollen ganz einfach nicht Stadt sein und deshalb auch keine Stadtbildkommission. Vielleicht wäre es deshalb tatsächlich ein kluger Ansatz, den Begriff der Stadtbildkommission auf die Seite zu legen und nur noch von Gestaltungsbeiräten zu sprechen. In Deutschland heissen die Gremien übrigens schon länger so.