Eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag von Urbanistica zeigt auf, in welchen Städten das grösste Potenzial für die Innenentwicklung vorhanden ist. Beim Verdichtungspotenzial belegt Visp im Vergleich unter den Kleinstädten Rang drei, beim Handlungsbedarf in Sachen Siedlungsqualität Rang eins. Die aktuellen Planungen und Projekte wurden dabei nicht berücksichtigt. Ein Gespräch mit Lorenz Bosshardt von Sotomo – auch zur Bedeutung des Industrieparks LONZA für die künftige Innenentwicklung.
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sta/visp. Massgeblich für die Bewertungen in der Studie sind die ÖV-Erschliessung sowie die aktuelle und mögliche Nutzungsdichte bei Wohnungen und Büros. Weil verdichtetes Bauen ohne die Akzeptanz und Zustimmung in der Bevölkerung jedoch nicht zu haben ist, präsentiert die Studie ein zusätzliches Ranking: Den jeweiligen Handlungsbedarf bei den Qualitätsmerkmalen in der Innenentwicklung.
Drei Leitthemen für Visp
Die Studie zeigt für die Innenentwicklung von Visp drei Leitthemen auf: In erster Priorität die Anpassung der ÖV-Infrastruktur an das Wachstumspotenzial im Wohnungs- und Bürobau. Zweitens die stadträumliche Anbindung des LONZA-Areals – als Teil der Innenentwicklung – durch bauliche Dichte, räumliche Vernetzung, Mischnutzung und gute Architektur. Und drittens verlangt der ausgewiesene Handlungsbedarf, wenn es um die Siedlungsqualität in Visp geht, nach einem politischen und fachlichen Grundsatz: Mehr Dichte, mehr Grün!

Stadtfragen: Es ist selten, dass Visp in einem Städteranking auf den Plätzen eins und drei landet. Kann sich die Kleinstadt Visp darüber freuen?
Lorenz Bosshardt: Unsere Studie zeigt das Potenzial der Innenentwicklung sowie unter dem Titel der Siedlungsqualität den Handlungsbedarf in einer Gemeinde auf. Die gute Nachricht für Visp: Rang drei beim Potenzial steht dafür, dass Visp bei der Siedlungsdichte, verglichen mit anderen Kleinstädten, kräftig zulegen kann, d.h. mehr Wohn- und Büroflächen anbieten könnte. Als Politiker:in würde ich mich darüber freuen.
Welche Kriterien bzw. Daten und Informationen wurden für die Beurteilung des Potenzials erhoben und ausgewertet?
Die wichtigste Grösse war die Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr aus der sich die Zentralität einer Gemeinde ableiten lässt. Dazu haben wir drei Fragen gestellt: Wie gut ist ein Standort an den öffentlichen Verkehr angeschlossen? Wie dicht sind dort Wohnungen und Büros vorhanden? Wie dicht könnten die Orte, abhängig von ihrer ÖV-Zentralität, noch werden? Kurz: Wir gingen von der Idee aus, das Verdichtungspotenzial nur dort einzurechnen, wo die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs schon vorhanden ist und eine Verdichtung erlaubt. Visp ist ein zentraler Standort mir einem eher kleinen Siedlungskörper, der rund um den Bahnhof angeordnet ist. Für die Grösse hat der Standort Visp zwar eine gute Zentralität, jedoch noch nicht die Nutzungsdichte, die man in vergleichbaren Kleinstädten erwartet.
Was nützt Visp Rang drei beim Potenzial für Verdichtung, wenn der Bahnhof beim Personenverkehr seine Kapazitätsgrenze schon heute erreicht hat?
Ein guter Punkt. Die Auslastung der bestehenden ÖV-Infrastruktur haben wir in der Studie nicht angeschaut. Wir haben mit der Nutzungsdichte lediglich erhoben, wie viele Bewohner:innen und Beschäftigte es an einem Ort pro Fläche bereits gibt bzw. geben könnte. Je höher diese Zahlen, desto zentraler ist ein Standort.
Die Studie machte mit der Schlussfolgerung Schlagzeile, dass mit kluger Innenentwicklung auf 30 % des heutigen Siedlungsgebiets in der Schweiz Raum für zwei Millionen Menschen geschaffen werden könnte. Wie hoch wäre, rein rechnerisch, der zu erwartende Anteil, den Visp übernehmen könnte?
(Pause ) Das ist gar nicht so einfach. Wir hatten die Idee, die Zahlen auf einzelne Gemeinden herunterzubrechen. Jedoch kamen wir nicht so weit.
Aber Sie haben eine Idee oder mindestens eine Einschätzung: Sind es hunderte oder tausende?
Über das grundsätzlich vorhandene Potential haben wir gesprochen. Ich wage mich jedoch nicht mit konkreten Zahlen auf die Äste hinaus.
Weshalb nicht?
Wir haben das Potenzial bislang noch nicht für einzelne Gemeinden als Gesamtzahl der Personen berechnet. Vielleicht ist das in einem nächsten Schritt möglich.

Der Bericht handelt nicht nur von Wachstumspotential und höherer Dichte. Es geht darin auch um Qualitäten in der Innenentwicklung. Unter den Kleinstädten führt Visp das Ranking beim Handlungsbedarf in Sachen Qualität an. Was heisst Handlungsbedarf genau?
Wir haben uns gesagt: «Dichte, Dichte und nochmals Dichte, das ist nicht die Lösung». Kurz: In der Innenentwicklung muss auch über Qualitäten nachgedacht und verhandelt werden! Das beste Argument dazu leuchtet ein: Die Akzeptanz der Bevölkerung bei der Verdichtung von Siedlungsräumen bedingt räumlich bzw. baulich gut gemachte Projekte, die den tatsächlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten der Nutzer:innen entsprechen.
Und welche Qualitätskriterien wurden der Studie hinterlegt?
Unter anderen der Anteil an Grünraum; der Zugang zur Naherholung und Nahversorgung; die Ruhe und der Nutzungsmix. Wir haben dazu den jeweiligen Ist-Zustand erhoben und einen Sollwert bestimmt, entsprechend der jeweiligen Zentralität einer Gemeinde. Aus der Differenz zwischen IST und SOLL haben wir für jede einzelne Qualität den Handlungsbedarf ausgerechnet und über alle Qualitäten hinweg ein vergleichbares Gesamtmass ausgewiesen.
Um das zu verstehen: Wie misst man «Ruhe» als Qualität in der Innenentwicklung ?
Mit hoch aufgelösten Daten zum Lärm, die uns heute bis auf die Ebene einzelner Häusern zur Verfügung stehen. Somit sind auch Zielwerte möglich und die entsprechenden räumlichen oder baulichen Massnahmen können vorgeschlagen und umgesetzt werden. Auf ähnliche Weise funktioniert der Umgang mit weiteren Qualitätsmerkmalen. Grundlage sind immer verlässliche Daten.
Zurück zu Visp – und lassen wir die Katze aus dem Sack: Welche Qualität ist dafür verantwortlich, dass Visp beim Handlungsbedarf in der qualitativen Innenentwicklung unter den Kleinstädten den Rang eins belegt?
Genau das habe ich mich auch gefragt und vor unserem Gespräch kurz nachgeschaut: Das wesentliche Thema in Visp ist der Grünraum. Hier haben wir die grösste Differenz zwischen dem Bestand und unserem errechneten Soll-Wert im Gebiet Visp West ausgemacht. Und auch dort, wo sich entlang der Hauptstrassen Bau- und andere Märkte aufreihen, fehlen die Grünflächen.
Visp ist ein urbanistisches Gemenge aus einem Industriepark, einer Agglomeration von Wohn- und Gewerbesiedlungen sowie einem dörflichen Zentrum, das auf einem mittelalterlich bebauten, felsigen Hügel seinen ideellen Kraftort bewahrt. Wie hat das Areal der LONZA, mit einer geschätzten Fläche von rund 30% des gesamten Siedlungsgebiets, das Ranking von Visp beeinflusst?
Visp hat tatsächlich eine spezielle Ausgangslage, anders als der Chemiestandort Basel: Die Chemie ist dort Rhein aufwärts gezogen, im Zentrum sind Forschung und Entwicklung geblieben. Die Lonza in Visp ist aus der Vogelperspektive der Studie super zentral. Unser Modell weist dem Gebiet deshalb ein Potenzial zu – eine mögliche Dichte von Wohnungen und Arbeitsplätzen – die eine produzierende Industrie nicht (oder noch nicht) leisten kann.
Wollen Sie damit sagen, aus Sicht der Innentwicklung wäre ein Szenario mit Büros und Wohnungen in Hochhäusern im oder am Rand des LONZA-Areals prüfenswert?
Nicht so direkt. Wir machen keinen Städtebau. Ich habe lediglich den Eindruck, das Areal könnte in Zukunft für die räumliche Innentwicklung von Visp zu einer noch wichtigeren Grösse werden, wenn es um höhere Bauten, mehr Büro- und Wohnflächen und letztlich um die urbane Siedlungsqualität als Ganzes geht. Ich betone nochmals: Wir haben den Siedlungskörper und die ÖV-Struktur in Kleinstädten untersucht und weder die standortstrategischen und planungsrechtlichen noch die betrieblichen oder sozialräumlichen Herausforderungen evaluiert.
Rund um den Bahnhof ragt bereits ein eindrücklicher Stangenwald von Bauprofilen in den Visper Himmel. Hat die Studie wenigstens die laufenden bzw. geplanten Projekte berücksichtigt?
Nein. Aber für die Stadtplanung Visp wäre eine Aktualisierung bzw. ein gegenseitiger Abgleich der Informationen für das Monitoring der künftigen Innentwicklung tatsächlich sinnvoll.
Kritische Stimmen vermuten hinter dem Bericht eine Statistikübung im Dienst einer Hochhauskampagne, mit der hohe Häuser als Notwendigkeit einer nachhaltigen Innenentwicklung dargestellt werden. Immerhin wurde die Studie hauptsächlich durch eine prominente Bauunternehmung finanziert. Ihre Meinung dazu?
Zu unserer Studie kann ich nur sagen: Wir sind ein Forschungsinstitut, keine PR Agentur. Und um präzis zu sein: Sotomo hat die Studie im Auftrag von Urbanistica, der Vereinigung für guten, sprich: eben für einen qualitätsvollen Städtebau erarbeitet.
Damit bringen Sie mich auf ein streitbares Thema: Städtebau ist in Kleinstädten, die ihr Dorfimage hochhalten, oft ein Reizwort. Was braucht es in Visp, damit sich Politik und Bevölkerung für die Aufgabe Innenentwicklung mit all ihren Konfliktlinien und in positiver Stimmungslage mobilisieren lassen?
Es gibt gute Beispiele von zentralen Kleinstädten mit hochattraktiven Wohnmöglichkeiten. Die kann man anschauen gehen. Trotzdem: Oft bleibt eine grosse Skepsis bezüglich baulichen Veränderungen. Ich glaube, die Bevölkerung schätzt an manchen Orten den Zustand einer superguten Erschliessung, lehnt sich aber umso vehementer gegen Wachstum in der eigenen Gemeinde oder Nachbarschaft auf: «Not in my backyard», lautet der mehrheitsfähige Glaubenssatz dazu.
Was ist Ihre Einschätzung: Erkennt die Bevölkerung in der Studie die eigene Realität wieder? Oder aktiviert sie eher die Furcht vor hohen Häusern und den Wachstumsschmerz?
Ich denke: weder noch. Nicht die Studie ist für die Bevölkerung wichtig, sondern, was, wie, wo und für wen in Visp gebaut wird. Ein Hochhaus sollte in der öffentlichen Diskussion und Meinungsbildung nicht einfach zu gross oder zu klein, richtig oder falsch sein. Entscheidend ist die städtebauliche Idee, die dahinter steckt und die sozialräumlichen Folgen daraus.
Und noch eine Ergänzung zum Dilemma Städtebau im Dorf. Es ist nur eine Geschichte, wenn damit Etiketten bedient werden. Tatsächlich gibt es unzählige Beispiele etwa von Dorfplätzen, die in einem räumlich grösseren, städtebaulichen Kontext entstanden sind. Das funktioniert tendenziell jedoch erst dann, wenn die Politik vor Ort sich explizit zu einer städtischen Entwicklungspolitik bekennen kann.

Ü27[1] steht für die Fusion von Visp mit den Gemeinden Baltschieder und Eggerberg. 2027 wird Visp dadurch auf das 3,8-Fache seiner heutigen Fläche anwachsen. Der Anteil der Bauzonen an der Gesamtfläche sinkt dadurch deutlich, weil grosse, wenig bebaute, stark von Landwirtschaft, Wald und Steilhängen geprägte Gebiete hinzukommen. Sehen Sie darin trotzdem eine Chance für die Innenentwicklung?
Je nachdem schon, weil sich für die Gesamtentwicklung von Visp neue Möglichkeiten ergeben. Ich würde sagen, Ü27 ist eine Chance, um ebenfalls über das Potenzial eines ÖV-Ausbaus nachzudenken. Die Vorzeichen sind jedoch andere, als diejenigen beim Bahnhof. Vielleicht kann über eine Art ländliche Zentralität mit Bus und bestehendem Anschluss an die BLS nachgedacht werden. Auch dieses Thema haben wir nicht angeschaut und lediglich die aktuelle, fixe ÖV-Infrastruktur berücksichtigt. Aus Sicht der Qualitäten gilt es immerhin festzuhalten: Visp Ü27 erhält einen zusätzlichen Bahnhof und zwei neue Dorfplätze.
Zum Schluss noch diese Frage: Ist der Industriepark in Visp aus Sicht der Studie für die bevorstehende Innenentwicklung eher eine Hypothek oder eine Chance?
Eindeutig eine Chance, allein schon deshalb, weil sich die Dynamik von Unternehmen wie der LONZA auf die Siedlungsentwicklung (z.b. das Wohnen) überträgt. Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal. Für mich präsentiert sich die Situation in Visp wie ein Abbild der Entwicklungen in der ganzen Schweiz – nur eben im kleinen Massstab.
Vielen Dank für das Gespräch.
[1] Ü27 ist ein Claim von Stadtfragen, der bei Beiträgen zur Gemeindefusion von Visp, Baltschieder und Eggerberg 2027 verwendet wird.