Die 11. Architektur Biennale in Venedig inszeniert unausgesprochen die Aufgaben der Architektur in einer fortschreitenden Ich-Gesellschaft: Rückmeldung, Interaktion, Inszenierung, Bestätigung, Selbstdarstellung. Derweil fordert das Thema Nachhaltigkeit die Gestalter/innen zum Blick in die Augen der eigenen Klientel auf.

Haben Lise Anne Couture und Hani Rashid mit ihrem Statement Recht, dass Kritiker in der Regel verängstigt, (“frightened”) und die Theoretiker frustiert sind (“that is the reality), dann ist ein Selbstgespräch über den Besuch der 11. Mostra Internazionale di Architettura unter dem Titel OUT THERE _ BEYOND ARCHITECTURE eine durchaus sinnvolle alternative Kurzberichterstattung: Ein Blog ist weder Kritik an die Adresse eines Empfängers, noch ist die Textform ernsthaft genug für eine theoretische Argumentation. Ein Blog genügt an erster Stelle sich selbst, darf behaupten, und er ist selbst einer von vielen Pendelschlägen, die in Richtung einer fortschreitenden “Ich-Gesellschaft” zeigen.

Blick in die Augen

Stabile Verbindungen entstehen dann, wenn man den Menschen dort ernst nimmt, wo er sich gerade aufhält, und wo er sich möglicherweise sogar kollektiv in eine neue Richtung bewegt. “A sustainable city will put people first”, liess sich Barbara Southworth in der Publikation ecotopedia, die anlässlich der Biennale erschienen ist, zitieren. Die Menschen an den Anfang der Überlegungen zu einer nachhaltigen Stadt stellen, so lautet ihr Standpunkt. Dieser hat wenig mit der modernen Vorstellung des Architekten als Weltverbesserer und Heiler gemein. Vielmehr ist gemeint, dass sich Architekten und Urbanisten (als Autoren und Künstler) unter dem Primat der Nachhaltigkeit künftig konzentrierter auf den Blick in die Augen ihrer Klientel einzulassen haben; und dazu gehören nicht nur die direkten Auftraggeber.

Events sprechen Englisch

Me, myself and the city, so könnte der Slogan und gleichzeitig der Versuch lauten, eine Verbindung zwischen den in Venezia vorgetragenen Projekten, Manifesten und Installationen sowie dem durch die Veranstalter zur Diskussion gestellten Thema einer Architektur BEYOND BUILDING herzustellen. Im Arsenale stellen gleich mehrere Beiträge mögliche Forderungen auf, die die Menschen in der Ich-Gesellschaft an die Architektur und an die Stadt (und nicht umgekehrt!) stellen: Show me (interaktiver Auftakt im Arsenale), replace me (das Hologramm von Fuksas), touch and move me (u.a. Coop Himmelb(l)au), talk about me (Alphabetic City), but please, let me alone at home (S1NGLETOWN). Aus der Event-Sprache ins Deutsche übersetzt könnte das heissen: Architektur und städtische Räume bauen künftig dann eine authentische Verbindung zu den Menschen auf, wenn sie, die Menschen, von der gebauten Umwelt eine Rückmeldung und Bestätigung auf die eigene Bewegung erhalten, Auftrittsmöglichkeiten, Kanäle um sich mitzuteilen und einen auf die jeweilige Lebenssituation perfekt zugeschnittenen privaten Lebensraum.

BEYOND BUILDING: Sightseeing in Venedig

Sightseeing: Sehen mit der Kamera

Von einer derartigen Interpretation unberührt bleiben an der Mostra die Auftritte von Architekturstars, die Gastkünstler den Vortritt lassen (wie HdM und AI WEIWEI) oder Beiträge, bei denen das Staunen über die Perfektion der neusten Architektur-, Medien- und Interaktionsformen (Hadid/Asymptote/Lynn/MVRDV) zusammen mit der Jagd nach dem besten Foto die Wahrnehmung bestimmen. Und schliesslich Botschaften, die versuchen, die Kunst der Architektur als kulturelle Leitdisziplin wiederherzustellen wollen (Video-Interview mit Greg Lynn), scheitern an der Mostra 2008 daran, dass der Event institutionell und inhaltlich mehr oder weniger festgefahren ist und dabei die Zielgruppe der Touristenmassen aus aller Welt im Aug hat: Sie gehen – wie ich – hin, um zu sehen und abzulichten, was sie aus Bildern und Büchern schon kennen. Schon beinahe radikal zeitgemäss erscheint deshalb der schweizerische Beitrag: Experten führen via Video eine Diskussion mit sich selbst. Bravo.