First-to-market-Architektur gelingt nur den Besten. Sie kennen ihren Markt und bringen ihre Arbeit und die Kooperation mit der Kundschaft situativ und stetig auf Innovationskurs, um Pionierarbeit zu leisten. Den Architekturalltag prägen gut organisierte, kreative Nachahmer:innen – die Early Follower unter den Architekt:innen. Um sie herum bauen kreative Menschen in der Mehrheit die Flut an architektonischer Sprachlosigkeit.
Der frühe Nachfolger, im Wirtschaftsjargon Second-to-market oder Early Follower genannt, tritt kurz nach dem Pionier, noch in der Einführungs- und frühen Wachstumsphase des Produkts, in den Markt ein. Lässt sich diese Unterscheidung in first und second Player auf die Architekturproduktion übertragen? Fest steht: Intellektuelle, logistische, typologische, formal-konstruktive und argumentative Pionierleistungen sind auch in der Architektur eher selten. Häufiger anzutreffen sind Planungen, Projekte und realisierte Bauten mit Early-Follower-Qualitäten. Das Thema Nachahmung, hier nicht gemeint als allgemeines Prinzip der Künste, sondern als Übernahme von typologischen, technischen und visuellen Vorbildern irgendwo im Spektrum von Piraterie, Urheberrechtsverletzung (Plagiat), Zitat oder konzeptioneller Interpretation, ist dabei in der Fachdiskussion dennoch unbeliebt oder sogar tabu. Um sich am Markt zu positionieren, werden in der Branche stattdessen die Erfindungsgabe, die Autorenschaft, das Primat der Authentizität sowie legitime historische Bezüge in inflationärem Ausmass hochgehalten.
Nachahmer prägen lokale Baukultur
Early-Follower-Strategien sind im bezahlten Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit besonders prominent vertreten. Wer die Ansicht des EMMI-Hauptsitzes in Luzern von 2014 betrachtet, kommt nicht um den Gedanken herum, das ETH-Forschungsgebäude HIT von 2008 auf dem Hönggerberg als ziemlich eindeutige Referenz zu identifizieren. Wer unter dem Flugdach des Shopping Center in Lustenau von Marques&Zurkirchen steht, denkt unweigerlich an das KKL in Luzern. Und sofort eilt die Moral herbei: Darf man das? Darauf gibt es hier keine Antwort. Auf der Hand liegt: Nicht jede Bauaufgabe und nicht jede Bestellung lassen es zu, die Ideen, Konzepte und Konstruktionen in der Architektur neu zu erfinden. So braucht Luzern braucht beim Neubau des Luzerner Theaters kein zweites bauliches KKL-Experiment, Coop ist nicht Actelion, EMMI nicht Novartis oder Roche. Die richtige Frage ist deshalb keine moralische, sondern eine inhaltliche nach der Beziehungskiste zwischen der anerkannten Pionierleistung und der situativen Nachahmung: Leistet ein Gebäude in sich einen legitimen und hinsichtlich der architektonischen Referenzen stimmigen Beitrag an die Fragestellung und Baukultur vor Ort? Early Follower, so lautet hier die These, können und müssen diesen Anspruch unbedingt leisten, wollen sie entsprechend bestehen. Early-Followern steht dazu ein kreatives, methodisches Spielfeld zur Verfügung. Referenzen können neue und historisch bedeutsame Themen konsolidieren, festigen oder sogar transformieren. Gute Nachahmerbauten leisten deshalb vielleicht den wichtigeren Beitrag an die kulturelle und gesellschaftliche Verständigung über Architektur als die einzelnen Ikonen der generischen Stararchitektur.

Substanz erfassen
Die Übergänge von einem Plagiat, einem Zitat – oder dem Weiterentwickeln – sind in der Architektur fließend. Gerade deshalb stehen die guten Early Follower der Architektur in der Pflicht, die Leistungen innovativer Vorbilder in ihrer Substanz zu erfassen, d.h. Positionen, Vorgaben, Bedürfnisse und Konflikte verständlich zu benennen und diese danach im Entwurf situationsbezogen in einen eigenständigen baulichen Beitrag zu übersetzen. Nur so erhält die Vermittlung architektonischer Qualität vor Ort tragfähige sprich verständlich erzähl- und lesbare Argumente. Unausgesprochen haben Early Follower Strategien, um bei diesem Begriff zu bleiben, das Berufsbild des Architekten, der Architektin längst verändert: Nebst offenen Augen, Entwurfsqualitäten, der Lust am Bauen und der Integration disruptiver globaler Veränderungen in die eigene Arbeit, ist eine Logistik der Informationsbeschaffung notwendig geworden, um überhaupt noch spezifische Lösungen für spezifische Orte erarbeiten und mit einem Zeit- und Geldbudget realisieren zu können.
Zumthor wie OMA
Und wie unterscheiden sich die Early Follower nun von den Besten? Dazu müsste man die Besten zuerst benennen und sie dann einzeln dazu befragen. Erkennen lässt sich vielleicht das: Investoren, Bauherren und Architekten mit First-to-Market Absichten sind darauf angewiesen, dass unternehmerische Werte, kreative Leistungen, die Bestellung und der fertige Bau dem Primat Innovation folgen, Stichwort: Werktreue und unbedingte Autorenschaft. Es scheint, dass dieses Unterfangen jeweils nuran den Grenzen des bereits Denk- und Machbaren, des Bekannten, des Finanzierbaren, des schon Gesehenen bzw. schon wieder Vergessenen gelingt – und sich dabei einem harten Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit stellen muss. Was das Prinzip dieses Grenzgangs angeht, unterscheiden sich Peter Zumthor’s Arbeit und jene im OMA von Rem Koolhaas kaum. Die Differenzen zeigen sich in der Art und Weise der ästhetischen Verpackung, der Radikalität im Entwurf aus der architektonische Gestalt entsteht und vielleicht noch in der Art und Weise der Personalisierung bzw. dem Co-Branding zwischen den am Bau beteiligten Akteuren. Welche Bedeutung dabei aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit oder Kreislaufwirtschaft zukommt, ist eine noch weitgehend offene Frage und deshalb ein attraktives Spielfeld.
Schicksal oder Strategie
Architekturbüros dürfen sich immer die Frage stellen, ob ihre Marktstellung mehr bewusste Wahl oder doch nur Zufall ist. In den meisten Fällen ist sie vielleicht sogar Schicksal. Der Grund scheint darin zu liegen: Eine first-to-market Strategie gelingt nur dann, wenn sie gleichermassen durch aussergewöhnliche Kreativität und Können im Entwurf, ein konsistentes und zukunftsfähiges Qualitätsverständnis bei Bestellern und Erstellern sowie im richtigen Handeln und Verhandeln vis-à-vis einer zunehmend globalisierten Welt getragen ist. Diese Kombination ist selten, aber es gibt sie. HdM können sich ihre Aufträge und ihren Marktauftritt aussuchen. Patrik Schumacher von Zaha Hadus Architects formulierte es gelassener: “Es geht uns darum, dass man innovative Ideen weiterträgt, neu kombiniert und daraus dann etwas Kreatives, Originelles entwickelt”.
Die Grenze zwischen den ganz wenigen Besten und den immer noch wenigen, guten Nachahmern in der Architektur ist fliessend, jedoch an konkreten Beispielen beschreib- und beurteilbar. Die vereinfachende Unterscheidung in first und second macht für Betrachtungen und Einschätzungen zur eigenen Positionierung am Architekturmarkt deshalb durchaus Sinn. Sie kann zudem die Büro interne sowie die öffentliche Diskussion zur lokalen Baukultur bereichern. Mehr Schwierigkeiten bietet das grösste Arbeitsfeld im Planen und Bauen, das sinnbildlich in den Reihen weiter hinten stattfindet: Gemeint sind die landein, landaus gebauten Adaptionen, Repetitionen und Banalisierungen von Architekturvorbildern. Sie sind die Mehrheit. Das Phänomen “Swissbox” steht stellvertretend dafür ein: Die zähe Sprachlosigkeit bei der Bebauung und Besiedelung unseres Lebensraums.