Wenn im sonst mäuschenstillen Ruheraum der Sauna im Migros-Fitness auf der Luzerner Allmend über «unschöne Neubaublöcke» in der Nachbarschaft debattiert wird, muss urbanistisch Aussergewöhnliches passiert sein. Stadtfragen war in der Sauna dabei und ein paar Tage vor Ort: Auf dem Dach des höchsten Gebäudes im «Mattenhof», 45 Meter über dem Verkehrskreisel, an dem bisher ein McDonald’s und das weisse Zelt der AutoArena das Sagen hatten, traf ich den Architekten der «Neubaublöcke» zum klärenden Gespräch: Mauritius Carlen vom Büro Scheitlin Syfrig Architekten AG,  Luzern.

Herr Carlen: Verstehen Sie, dass Sauna-Gäste im benachbarten HOCHZWEI über die Allmend blicken, den Mattenhof sehen und lästern? «Zu hoch, zu dicht, zu viel, zu wenig Grün und überhaupt!»Ja, ich kann durchaus verstehen, dass ein Vorhaben wie der Mattenhof zu reden gibt.

Was könnten die Beweggründe für die Aufregung sein? Das Projekt ist unzentralschweizerisch gross. Grösse ist dabei jedoch weniger absolut, sondern mehr im Verhältnis zum bisher Bekannten zu verstehen. Man merkt den Neubauten im Mattenhof zudem an, dass sie nur ein Teil – wenn man so will – erst der Anfang von einem noch viel grösseren Vorhaben sind: der Entwicklung von Luzern Süd zwischen dem Eichhof in Luzern und der Seebucht in Horw. In den nächsten zwanzig Jahren entstehen hier 10‘000 bis 15‘000 Wohn- und Arbeitsplätze. Im Mattenhof sind es 129 neue Wohnungen. Am Projekt LuzernSüd arbeiten mehrere Gemeinden, verschiedene Grundeigentümer und Investoren auf unterschiedlichen Baufeldern zusammen. Ich glaube, es ist deshalb vor allem die Dimension der Stadtentwicklungsprojekte in Kriens und Horw, die für viele Menschen noch zu wenig bekannt ist, und die deshalb verunsichert.

In der Nachbarschaft zum Mattenhof wurden bereits markante Wohnbauten realisiert. Wo würden Sie persönlich zuerst einziehen: im «Schweighof», im «Mattenhof» oder in den Türmen des «HOCHZWEI» mit Blick auf das FCL-Stadion? Ich würde mich ganz klar für den Mattenhof entscheiden.

Natürlich!. Weil Sie der Architekt sind. Nein, das hat durchaus andere, für mich gute Gründe. Der Schweighof ist eine klassische Wohnsiedlung, die sich zu wenig mit dem räumlichen Umfeld verbindet. Die Siedlung zeigt sich daher so gar nicht städtisch, eher ‘suburban’ d.h. eher ländlich und abgeschotten. Auf mich wirkt der Ort nicht als ein Teil von Luzern Süd, eher so, als wollten seine Bewohner/innen auch in Zukunft ausserhalb der Stadt leben. Die Wohnhochhäuser HOCHZWEI sind städtebaulich präzis gesetzte und architektonisch gekonnt ausgeführte Bauten. Dennoch: Die Wohnungen in den beiden Türmen sind eine Mantelnutzung, um das Sport- und Freizeitangebot mit dem Stadion und dem Hallenbad zu finanzieren. Dass das Wohnangebot nicht im Zentrum steht, merkt man im Erdgeschoss ganz gut: Verlassen die Bewohner/innen die beiden Wohntürme, dann stehen sie quasi direkt in der Sportanlage.

Für den Mattenhof als Wohnort würde ich mich entscheiden, weil hier die Verteilung, die Anordnung und die Gestaltung der Wohnungen, Büros, Gewerbeflächen und der Gastronomie kongruent, d.h. übereinstimmend und untrennbar miteinander verknüpft sind. Wer im Mattenhof wohnt, lebt in einem stimmigen, städtischen Umfeld – und das mit Bahnanschluss und einem Park, der Allmend, direkt vor der Haustür!

Kompakt und aus einer architektonischen Hand entworfen: Ansicht an das Hochhaus im Mattenhof.

Der Mattenhof wird in der Sprache der Immobilienvermarkter als «Lebensraum für Mikropolitans» angepriesen. Was sind das für Menschen, woher kommen sie, und wie lauten die architektonischen Antworten, mit denen Sie diese Zielgruppe angesprochen haben? Der Begriff «Mikropolitans» will zum Ausdruck bringen, dass im Mattenhof auf kleinem Raum alles angeboten wird, was zu einer Stadt gehört. Sinnbildlich ist eine Zielgruppe gemeint, die in einer Art kleinen Metropole leben möchte. Wichtiger als der Name sind jedoch die Grundrisse, mit denen wir beim Entwurf der Häuser auf verschiedenste Wohnbedürfnisse reagiert haben. Klar ist, dass Familien nicht unbedingt zur ersten Zielgruppe gehören aber auch sie finden hier ohne weiteres ein Wohnangebot. Als Architekten haben wir uns speziell für den Bau von Maisonette-Wohnungen eingesetzt. Im Mietwohnungsbau sind sie bei Investoren aufgrund des Flächenbedarfs zwar nicht so bliebt aber sie bieten unbestritten eine sehr attraktive Wohnform über zwei Geschosse an.

Wenn Sie dem Mattenhof als Lebensraum drei Eigenschaften zuschreiben könnten, wie würden diese lauten? Und: Bitte lassen sie die gängigen Begriffe urban, verdichtet, zentral, städtisch, vernetzt und kompakt für einmal weg. Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, aber vielleicht so: Der Mattenhof ist lebendig, nachhaltig, diversifizierend und setzt Impulse.

Dass es soweit kommt, muss auch am städtebaulichen Entwurf liegen. Welche Idee lag dem Entwurf zugrunde, der damals im Wettbewerb obsiegte? Die Hauptaufgabe bestand darin, aufzuzeigen, wie die neue S-Bahn-Haltestelle Mattenhof zusammen mit der künftigen Siedlungs- und Freiraumentwicklung funktioniert. Zudem ging es um die Art und Weise der baulichen Verdichtung des Gebiets zu einem neuen Stadtteil zwischen der Bahnstation und dem Kreisel, an dem die weiteren Gebiete anknüpfen. Ein städtebaulich zentrales Anliegen war es, der künftigen Siedlung eine funktionierende, räumliche Mitte zu geben. Und man darf nicht vergessen, dass der Perimeter im Entwurf damals auch die Parzelle umfasste, wo gerade die Pilatus Arena mit Mantelnutzungen geplant wird.

Wie hat sich das siegreiche Projekt in der Umsetzung verändert? Im Austausch mit der Gemeinde Kriens und der Mobimo AG als Grundeigentümerin und Investorin wurde intensiv über die richtige Dichte, Anordnung und Gestaltung der Bauten an diesem Ort verhandelt. Entscheidend Einfluss auf die gebaute Lösung hatte das Resultat der Testplanung über das ganze Gebiet von LuzernSüd. Daraus resultierten letztlich der neue Bebauungsplan für den Mattenhof und unser Bauprojekt. Solche Verfahren sind sehr intensiv und dauern oft mehrere Jahre. Als ein Ergebnis daraus steht heute das höchste Gebäude direkt am Kreisel.

Was nun gebaut wurde, wirkt von aussen wie eine städtische Insel. Ist dieser Eindruck gewollt? Mit dem Begriff ‘Insel’ bin ich gar nicht einverstanden. Eine Insel ist ein Ort, abgeschlossen von der Umwelt, von dem man oft nicht ganz so leicht wieder wegkommt. Der Mattenhof ist das Gegenteil davon: Er ist ein Ausgangspunkt mit einer Ausstrahlung, die weit in die Umgebung hineinreichen wird. Mit der Zeit wird hier die Durchwegung und Vernetzung mit den anderen Orten in LuzernSüd stattfinden. Entscheidend wird sein, dass weitere Projekte hinzukommen und die geplanten Strassen-, Verbindungswege und Freiräume realisiert werden. Das Freigleis auf dem ehemaligen Bahntrassee der Zentralbahn ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine neue Langsamverkehrsachse, hier zwischen Luzern und Horw, den Zugang von und nach bestehenden Zentren erleichtert und deshalb auch innert kurzer Zeit rege benutzt wird. Der Mattenhof übernimmt daher die wichtige Funktion und Aufgabe eines urbanistischen Brückenpfeilers für die räumliche und wirtschaftliche Gesamtentwicklung zwischen Luzern, Kriens und Horw. Schon bald wird der neue Bahnhofplatz dies noch deutlicher machen und zeigen, wie offen sich der neue Stadtteil präsentiert.

Der Mattenhof ist ein Stadtteil von? Der Mattenhof ist in meinen Augen ein Stadtteil von Luzern, wobei ich mit ‘Luzern’ den städtischen Lebensraum Luzern meine. Wenn wir ehrlich sind, ist die Realität schon heute so, dass die einzelnen Stadt- und Gemeindegrenzen in der Wahrnehmung der Menschen, die darin wohnen und arbeiten, immer weniger eine Rolle spielen: Aus Gemeinden werden künftig Stadtteile und Quartiere.

Was bedeutet dies für die Gemeinden von LuzernSüd bzw. für die Stadt Luzern? Zuerst, dass die Politik und die Behörden noch intensiver untereinander und in der Öffentlichkeit über die Stadtentwicklung und einzelne Vorhaben kommunizieren sollten. Das passiert bisher noch zu wenig. Zudem besteht die wichtigste Aufgabe der Gemeinden Kriens und Horw darin, die für Luzern Süd wichtigen Erschliessungs- und Freiräume zu sichern bzw. zu realisieren. Sie sind das Rückgrat der ganzen Entwicklung.

Keine Insel, sondern eine urbanistische Drehscheibe für die kommende Entwicklungen in der Nachbarschaft: Blick in den Innenhof.

Kommen wir zurück zum Mattenhof. Was passiert da gerade jetzt? Es hat dort 129 Wohnungen, die nun bezogen werden und ebenso viele Parkplätze. Gewohnt wird auf rund 30% der Nutzfläche. Für das Gewerbe stehen 45%, für die Restauration/Retail 10% und für die Hotelnutzung 15% zur Verfügung. Die erzielte Ausnützungsziffer (AZ) beträgt, abhängig davon welche Aussenflächen man in die Berechnung mit einbezieht, ungefähr 3.0. Einziehen werden u.a. die Swisscom mit rund 400 Arbeitsplätzen und ein externes Angebot des Luzerner Kantonsspitals LUKS. Eingekauft wird in der Migros im benachbarten Projekt MATTEO.

Letztlich geht es beim Bauen immer um ein Zeit- und Kostenbudget. Wo wurde am meisten in die Architektur investiert? Wir haben in den Städtebau und in die Architektur viel investiert. Die Grunddisposition der niedrigeren Baukörper besteht aus einem Erdgeschoss, drei Bürogeschossen mit darüberliegenden drei Wohngeschossen. Die Wohn- und Bürogeschosse sind unterschiedlich markant voneinander abgesetzt. Alle Gebäudeentwürfe basieren auf einem einheitlichen, statischen Grundraster. Das kann man, ausser beim Hochhaus, das aus Betonelementen besteht, an allen verputzten Fassaden unterschiedlich klar erkennen. Die Sockelgeschosse verfügen alle über eine hochwertige, widerstandsfähige Materialisierung. Die auf den darüber liegenden Geschossen angewendeten, verputzten Fassaden sind reich an unterschiedlichen Strukturen und Profilierungen. Bei der Farbwahl hat uns der Künstler Hubert Hofmann begleitet. Wer den Mattenhof besucht, dem fällt vielleicht auf, dass nur ein Haus zweifarbig gestaltet wurde, es steht als Einziges nicht an einer Parzellenecke. Besonders sorgfältig haben wir die allgemein zugänglichen Räume, die autofreie Zone in der Mitte, den Platz und die Gemeinschaftsterrassen gestaltet.

Welche war die grösste Herausforderung? Wenn eine Überbauung aus mehreren Gebäuden aus einer Hand entworfen und gebaut wird, stellt sich automatisch die gestalterische Herausforderung, für einzelne Baukörper und Nutzungseinheiten den ‘richtigen’ Weg zwischen Individualität und Zusammengehörigkeit zu finden. Ich glaube, beim Mattenhof ist es uns gelungen, dass das Ganze mehr darstellt als die Summe seiner Einzelbauten. Um dies zu erreichen, haben wir sehr viel Zeit in die Entwicklung der baulichen und gestalterischen Strukturen investiert.

Auf dem Hintergrund des Klimawandels wechselt die Baubranche, vereinfacht gesagt, gerade von der Winter- auf die Sommerbetrachtung: Einpacken allein ist nicht mehr die Lösung. Welchen Beitrag leistet der Mattenhof an das Klima? Wir haben mehrere Vorgaben aus dem Programm der 2000-Watt-Gesellschaft übernommen und die Überbauung mit Hilfe der SIA 2040 geplant und realisiert.

Gibt es weitere Themen, auf die Sie hinweisen möchten? Ich hoffe, dass alle, die sich für den Mattenhof interessieren, ihn besuchen kommen. Auch diejenigen, die nach dem Saunabesuch im HOCHZWEI eine kleine Erfrischung benötigen. Nur direkt vor Ort erkennt man nämlich, dass der Mattenhof die richtigen Qualitäten dazu hat, um zu einem belebten und beliebten, neuen Stadtteil von Luzern zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch.