Ilg Santer Architekten aus Zürich planen das neue Luzerner Theater (nLT). Ihr Konzept, Alt und Neu zusammenzubauen, hat sich im Wettbewerb durchgesetzt. Im Februar 2025 wird voraussichtlich über den Kredit für das Vorprojekt abgestimmt. Stadtfragen traf Marcel Santer zum Gespräch: Er setzt auf gute Architektur, die streitbare Themen durch den Dialog auflöst.

sta, Visp, Zürich im November 2024, Bilder: zvg.

Marcel Santer, dein Lebenslauf beginnt 1991 mit dem ETH-Studium und endet mit Referenzbauten. Gibt es auch ein Leben vorher und daneben?

Marcel Santer: Natürlich. Das eine hat viel mit dem anderen zu tun: Bei der Arbeit am nLT war meine Herkunft ein vorteilhaftes Thema: Ich bin in Sursee geboren, lebte in der frühen Schulzeit im luzernischen Rickenbach und anschliessend in Menziken AG. Meine Mutter stammt aus Nottwil, mein Vater ist gebürtiger Südtiroler. Ich bin dadurch eng mit der Stadt Luzern und der Luzerner Landschaft verbunden.

Wie hat deine Herkunft dich beruflich geprägt?

Ich interessierte mich früh für die bürgerliche Barock-Kultur auf der Landschaft. Dazu gehörten neben Gebäuden auch Anlässe wie Umzüge oder andere Festivitäten. In meiner Erinnerung verbrachte ich als Kind gefühlt ganze Nächte in Barockkirchen und studierte Rokkokostukkaturen und Altarbilder. Wie wertvoll diese Erfahrung für mich und meine Arbeit ist, erkannte ich erst viel später. Das barocke Luzern ist für mich bis heute ein Stück Heimat geblieben. Wenn ich nach Beromünster fahre und dort durch den Bezirk des Chorherrenstifts St. Michael spaziere, fühle ich mich mit diesem Ort verbunden.

Darf ich raten? Auf einem deiner Spaziergänge hast du dich entschieden, Architekt zu werden.

Nein. Das wäre eine zu schöne Geschichte. Mein Weg an die ETH Zürich war kurvenreich. Ich studierte zuerst Elektrotechnik, danach wollte ich Illustrator werden. Mein Versuch, an die Kunstschule zu kommen, gelang nicht. An der ETH wuchs dann meine Begeisterung für die Architektur.

Architektur ist keine exakte Wissenschaft.

Du gingst als Generalist an die ETH Zürich?

So war es. Wie ich heute ein Gebäude entwerfe, folgte meine berufliche Karriere mehr meinen Wünschen und Ideen als einem gespannten roten Faden. Mit dem Architekturstudium schlug ich dann für ein paar Jahre eine vorgegebene Richtung ein, eignete mir viel Wissen an, sammelte verschiedenste Erfahrungen. Als Studierende in den 1990er Jahren hatten wir das Glück, an der ETH auf eine spannende Zeit mit Professor:innen zu treffen, die unterschiedliche Positionen vertraten.

Du warst kurz nach Aldo Rossi auf dem Hönggerberg. Bei wem hast du für die Praxis gelernt?

Im Hauptstudium bei Marcel Meili, einem späten Schüler von Aldo Rossi. Er hat u.a. die Eigenständigkeit der Disziplin Architektur propagiert und uns die wichtigsten Kernthemen in einem Gebäudeentwurf beigebracht. Bei Hans Kollhoff lernte ich danach die unvoreingenommene Beschäftigung mit der Architekturgeschichte kennen, bei Peter Märkli ein allgemein gültiges Harmonieverständnis. Das fand ich sehr spannend. Es war eine Befreiung, dass sich mir dadurch, jenseits der klassischen Moderne, viel Inspiration und Material aus früheren Epochen der Architekturgeschichte erschloss. Parallel zum Hauptstudium war ich Hilfsassistent an der Professur für Architektur- und Kunstgeschichte von Kurt W. Forster († 2024). Dort hat sich mein Fokus auf die Architektur wiederum neu eingestellt.

Wir sprechen im Projekt nLT von einem Zusammenbau.

Hast du ein architektonisches Lieblingsgebäude?

Es sind mehrere Gebäude. Frühe Beispiele sind Bauten aus der italienischen Renaissance: Bauwerke von Andrea Palladio oder der Palazzo del Te von Giulio Romano in Mantua, um nur einige zu nennen.

Und später?

Eines der ersten prägenden Gebäude war für mich in meinem Praktikum in Berlin die Neue Nationalgalerie von 1968, gebaut von Ludwig Mies van der Rohe. Nach dem Studium waren dann die Bauten des amerikanischen Architekten Louis I. Kahn für mich eine Neuentdeckung. Als Referenz sind sie bis heute allgemeingültig, zum Beispiel das Salk Institute for Biological Studies, eine Forschungseinrichtung in San Diego aus dem Jahr 1963. Ich habe mir ausserdem eine Liste mit zeitgenössischen Bauten angelegt, die ich noch nicht vor Ort gesehen habe.

Was steht auf der Liste zuoberst?

Die Bauten des französischen Architekten Gilles Perraudin. Seine Art, nachhaltig zu bauen, ist ein sehr wertvoller Beitrag an die Diskussion, was Architektur bei der Anpassung an den Klimawandel leisten kann. Durch seine Arbeit haben wir neu entdeckt, wie man die Tragstruktur von Bauten umweltfreundlich in Naturstein mit der konventionellen Bauwirtschaft ökonomisch errichten kann. Dabei hat uns das räumliche, materielle und haptische Potenzial dieser Bauweise beeindruckt. Interessanterweise hat diese im Tiefbau nie ganz an Bedeutung verloren.

«Ich bin die Pflicht zur Modernität los und die Angst, etwas Neues zu schaffen.» Gilles Perraudin

Wenn wir heute Nachmittag in den Zug einsteigen könnten: Was wäre unser Reiseziel?

Zuerst würde ich Gilles Parraudin anrufen und ihn fragen, ob wir in Lyon ein paar Bauten von ihm ansehen könnten. Gilles Perraudin hat übrigens das wichtigste Architekturbuch der letzten 15 Jahren geschrieben: «Construire en pierre de taille aujourd’hui». Das kleine Buch ist ein stimmiges Statement zum Thema Nachhaltigkeit im Bauen.

Der Standort des nLT ist sensibel: städtebaulich, kulturpolitisch, touristisch. Wer hatte die besten Argumente für den Entscheid, das Theater teilweise zu erhalten?

Wettbewerbe starten wir im Büro immer mit einer präzisen historischen und städtebaulichen Analyse. Wir schauen uns den Ort und seine Bedeutung sehr genau an. Ich persönlich hatte sehr schnell ein Gefühl für den identitätsstiftenden Charakter der heutigen Situation am Theaterplatz. Eine Tabula Rasa, der Totalabriss, kam deshalb gar nicht in Frage. Gleichzeitig schien uns der Zustand des bestehenden Theatersaals für das Programm zu prekär, um ihn in seiner heutigen Form und Funktion erhalten zu wollen. Wir standen also vor der Aufgabe, den alten Kern des Theaters inhaltlich umzuformen. Der heutige Theatersaal wurde im Projekt nLT so zum Foyer Public: einem öffentlich zugänglichen Ort mitten in der historischen Kleinstadt.

Visualisierung des Siegerprojekts überall aus dem Architekturwettbewerb. (Ilg Santer Architekten)

Zum Verständnis: Handelt es sich beim nLT um einen Anbau, einen Neubau oder einen Umbau?

Wir sprechen im Projekt von einem Zusammenbau.

Was ist darunter zu verstehen?

Der Zusammenbau entstand aus der Entwurfsidee, die bestehenden Gebäudeteile sowie die zusätzlich geforderten Nutzungen und Räumlichkeiten so anzuordnen, dass ein neues eigenständiges neues Luzerner Theater entsteht. Durch die Art und Weise, wie wir den Zusammenbau architektonisch lösen, wird das nLT mehr leisten können und darstellen, als eine einfache Aneinanderreihung oder Stapelung der bestellten Nutzungen und technischen Einrichtungen, kurz: Am heutigen Standort entsteht ein Gebäude, das nahbar, leistungsfähig, vielseitig, wertvoll und einzigartig sein wird.

In historischen Städten ist Baukultur besonders wichtig. Bei euch fallen das Biozentrum in Basel, ein Physikgebäude für die ETH und die Messehalle in St.Gallen ins Auge. Welche Chancen habt ihr euch im Wettbewerb ausgemalt?

Der Entscheid, teilzunehmen, war ein grosses Risiko. Aber genau diese Herausforderungen machen uns Freude. Wir setzen uns gerne Aufgaben mit offenem Ende aus. Dadurch haben wir vielleicht genau jenen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz, den es in einem Wettbewerb braucht, um ihn zu gewinnen. Bei der Arbeit am nLT hatten wir früh den Eindruck, eine konkurrenzfähige Lösung beitragen zu können. Manchmal löst sich diese Zuversicht schnell wieder in Luft auf: Unsicherheit gehört zum Wesen einer Wettbewerbsteilnahme.

Was zeichnet eure Wettbewerbsbeiträge aus?

Für die Lösungsfindung haben wir im Büro einen effizienten und kreativen Umgang mit räumlichen und baulichen Strukturen etabliert. Je nach Aufgabenstellung gehen wir im Entwurfsprozess auch bewusst szenographisch vor. Im Fokus der Lösungsfindung steht dabei eine städtebauliche bzw. architektonische Erzählung. Dieses Vorgen ist uns beim nLT offenbar gut gelungen: Bei 120 teilnehmenden Büros fällt ein erster Platz ja nicht einfach so vom Himmel. Der jeweilige Bezug zur Geschichte ist eine weitere, wichtige Quelle in unserer Arbeit.

Architektur muss per se Qualität ausstrahlen, um Resonanz zu finden und verstanden zu werden.

Welche Geschichte erzählt das neue Luzerner Theater seinem Publikum?

Die Offenheit im Erdgeschoss, die Bespielung des Altbaus als Foyer, die Anordnung der neuen Nutzungen sowie die Ein– und Aussichten gegenüber der Reuss und der Nachbarschaft. Alle diese Entscheidungen erzählen die Geschichte eines offenen und lebendigen Spiel- und Aufenthaltsorts mitten in der Kleinstadt Luzern. Das neue Haus hat viel mit der Umgebung, mit der bisherigen Identität zu tun. Das bisherige Theater bleibt zudem als Denkmal erhalten. Diese Lösung war vor der Durchführung des Wettbewerb alles andere als selbstverständlich bzw. sie war eher unwahrscheinlich. Wir haben im Wettbewerb entschieden, dass der Zusammenbau von Alt und Neu für den künftigen Theaterbetrieb die beste Lösung sein wird.

Eure Projekte bezeichnet ihr als «prototypisch». Was ist damit gemeint?

Das Komische an der Architektur ist: Man steckt viel Geld in eine individuelle Lösung, die in einem anderen Kontext aber nicht weiterentwickelt werden kann. Lass mich dazu einen Vergleich anstellen: Wenn die Autoindustrie ein neues Modell entwickelt, dauert es bis zum Verkauf oft Jahre. Ist das Modell auf dem Markt, folgen weitere Jahre der Modellpflege. In der Architektur bleibt die teure Lösung ein Prototyp. Nehmen wir zum Beispiel das Biozentrum der Universität Basel: Das alte Gebäude aus den 1960er Jahren musste ersetzt werden, weil die Arbeit und die Einrichtungen in einem Labor heute komplett anders sind. Das neue Biozentrum hat nichts mehr mit dem alten zu tun, und die Entwicklung wird weitergehen. Deshalb haben wir einen Prototypen für die aktuelle Spitzenforschung gebaut, der hoffentlich ein paar Jahrzehnte lang den jeweiligen Anforderungen genügen kann.

Das nLT ist demnach ein Prototyp für ein offenes Mehrspartenhaus, das sich in die historische Kleinstadt Luzern einfügt?

Man könnte die Situation auch mit der Anfertigung eines Massanzugs vergleichen: In gebauter Form muss der ‘Anzug’ räumlich, politisch, betrieblich und gesellschaftlich genau sitzen.

Das nLT hat also nichts mehr zu tun mit dem Haus, das 1838 als Sprechtheater eröffnet wurde?

Ein Teil wird als Denkmal erhalten und an den Ursprung erinnern. Die künstlerischen Formen und Formate von Theater haben sich seither verändert. Die Griechen spielten noch in einer Arena aus Stein. Heute werden Stücke aus dieser Zeit in einem anderen Kontext und mit anderen technischen Möglichkeiten aufgeführt. Und vergessen wir bei der geschichtlichen Betrachtung nicht: Das heutige Luzerner Theater ist bautechnisch und räumlich auf dem Stand von 1970. Beim Anbau des heutigen Foyers hätte wohl niemand daran geglaubt, wie gross der Einfluss von Multi Media auf das Theater in kurzer Zeit werden würde. Das geplante Foyer Public steht in diesem Sinn prototypisch für einen offenen, zeitgemässen Theaterbau an einem ganz bestimmten Ort in der Stadt Luzern.

Berücksichtigt das Projekt auch den Umstand, dass niemand genau weiss, wie ein Theaterbetrieb in 25 Jahren aussehen wird?

Natürlich gibt es bautechnische, strukturelle und letztlich architektonische Möglichkeiten, ein öffentliches Gebäude wie ein Theater zukunftsfähig zu bauen. Ich denke da zum Beispiel an die Lage und Grösse des neuen Theatersaals. Ich bin überzeugt, so wie er angedacht ist, wird er den Zahn der Zeit sehr lange überdauern.

Es sind die übergeordneten Qualitäten, die wir Architekt:innen mit einem Entwurf verständlich kommunizieren müssen.

Das Bild des gut sitzenden Massanzugs verstehen auch Nicht-Architekt:innen. Was genau muss die Bevölkerung über Städtebau und Architektur wissen, um das Projekt nLT lesen, verstehen und beurteilen zu können?

Ich würde aus der Gegenperspektive argumentieren: Ich glaube, dass Architektur per se Qualität ausstrahlen muss, um Resonanz zu finden und verstanden zu werden. Ich meine mit Verstehen nicht das schnelle Urteil über eine Fassade, die noch nicht gebaut ist. Es sind die übergeordneten Qualitäten, die wir Architekt:innen mit einem Entwurf verständlich kommunizieren müssen. Dazu zählen die Idee, die Absichten und vor allem die Mehrwerte für die Gesellschaft, welche gute Architektur mit Plänen, Bildern und Modellen verspricht und am fertigen Bau, vom Keller bis zum Dach, einlösen muss.


Neben der Architektur dürfen wir aber den Betrieb nicht vergessen. Mit dem nLT entstehen neue Möglichkeiten für die Programmierung und Inszenierung im und um das Haus herum. Ich habe mehrmals selbst erlebt, was es heute für einen Aufwand bedeutet, eine Aufführung erfolgreich zu planen und zu realisieren. Deshalb ist für mich die Ausgangslage ganz einfach so: Weil Theater eine wichtige und wertvolle Kulturform ist, braucht es eine entsprechend wertvolle Infrastruktur. Wir haben dazu ein architektonisches Bekenntnis am Standort des heutigen Gebäudes abgegeben, mit Respekt vor dem historischen Bestand.

Weil Theater eine wichtige und wertvolle Kulturform ist, braucht es eine entsprechend wertvolle Infrastruktur.  

Und was sagst du jenen, die behaupten, das nLT passe nicht an diesen Ort?

Wichtig ist, zu erklären, dass der heutige Ort mit dem Theater nicht mehr so aussehen wird. Die Kommunikation muss deshalb inhaltlich über das Gebäude hinausgehen. Um aus dieser Perspektive die geplanten Veränderungen und Chancen zu erkennen, braucht es kein Architekturstudium. Exakte geschichtliche Bezüge in der Fassadengestaltung oder architektonische Referenzen aus der Theorie sind in der öffentlichen Kommunikation wahrscheinlich weniger wichtig. Wichtig ist, zu betonen, dass ein Theater in Bahnhofsnähe ein Gewinn für die Stadt und weit darüber hinaus ist. Ich stelle mir vor, wie angenehm es sein kann, von Entlebuch aus mit dem Zug eine Vorstellung zu besuchen, sich danach an der Bar einen Drink zu genehmigen und um 22.00 Uhr mit dem Direktzug in 25 Minuten nach Hause zu fahren.

Heute bilden sich Teile der Bevölkerung ihre Meinung mit dem Daumen auf dem Smartphone. Was bedeutet die Kluft zwischen den Bildrealitäten in den sozialen Medien und der gebauten Umwelt für dich als Architekt?

Diese Kluft ist eine zwischen der Erklärung und der Erfahrung über Architektur. Meinungsbildend ist oft zuerst das Bild. Das konnte man bei der Berichterstattung über das nLT gut beobachten. Trotzdem ist dieser Trend für uns kein grosses Thema. Wichtiger ist es uns, mit den Leuten direkt in Kontakt zu treten, um Ideen, Absichten und Unsicherheiten auszutauschen. Unser Projekt hat die Qualitäten dazu, sonst hätten wir im Wettbewerb nicht obsiegt. Zudem wurde das Projekt in Fachkreisen gut aufgenommen. Letztlich glaube ich, dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung sich nicht alleine durch die Nutzung der Sozialen Medien eine abschliessende Meinung bildet.

Weshalb nicht?

Die Menge an verfügbarem Bildmaterial hat kaum mehr die Wirkung, wie ikonographische Architekturbilder sie noch im 20. Jahrhundert entwickeln konnten. Die Entstehung, Distribution und Verfügbarkeit von Architekturdarstellungen waren im Vergleich zu heute teuer und mit einem enorm grossen technischen Aufwand verbunden. Die Anzahl der Abbildungen war beschänkt, ihre Wirkung jedoch gross.

Ich möchte noch die Kritik ansprechen. Das Projekt lasse im Grunde genommen alle Bauherrenwünsche erfüllbar machen, bemerkte eine prominente Architektin in der Jurysitzung. Man könnte diese Aussage durchaus verstehen als anything goes, sprich: alles ist möglich. Worauf haben die Bauherrschaft und die künftigen Nutzer:Innen bisher verzichtet?

Was meinst du mit verzichten? – Die Stadt Luzern und das Theater haben meines Wissens beim Raumprogramm einen schmerzhaften Prozess der Bestellungsreduktion durchgemacht. Ein anschauliches Beispiel dazu ist die geplante Light-Version der Kreuzbühne im grossen Saal. Bei einer vollausgebauten Kreuzbühne besteht die Bühnenfläche aus acht gleich grossen Flächen, als Seiten- und Hinterbühnen zusätzlich zur Hauptbühne. Bühnenbilder können so in Originalgrösse hinter die Bühne oder nach links und rechts gefahren werden. Beim nLT sind die Flächen der Seitenbühnen jeweils halb so gross, die Hinterbühne halb so tief wie der Hauptbühnenbereich.

Im Schnitt v.r.: Foyer im Bestand, grosse Bühne unterteilt, mittlere Bühne (Box) auf der Terrasse.

Wieder eine massgeschneiderte Lösung für Luzern?

Die geplante Kreuzbühne ist eine bewusste Beschränkung, die in mehreren Anläufen erfolgt ist, um das an diesem Standort mögliche Raumprogramm zu reduzieren. Es gibt mehrere solche Beispiele.

Und diese sind?

Unser Projekt wird gerne mit anderen Häusern im deutschsprachigen Raum verglichen, ein Beispiel: Die Oper in Stuttgart gastiert während der Sanierung in einem Provisorium. Es kostet das Mehrfache der Kosten für das nLT. Kommt hinzu: In Luzern hat der Standort klare räumliche und damit auch betriebliche Limiten gesetzt. Es freut mich deshalb immer wieder, wenn ich in meinem Umfeld höre, dass in Luzern gute, innovative Theaterproduktionen aufgeführt werden, die mit beschränkten Mitteln maximalen Gewinn, d.h. künstlerische Qualität und gut gefüllte Säle ausweisen. Deshalb sage ich nochmals: Das nLT ist weder ein Wunsch-, noch ein Verzichtsprogramm. Wir bauen zusammen ein modernes Theater – eben klein, aber fein.

Wurde diese Geschichte bisher gut erzählt?

Es ist mir nicht entgangen, dass das Thema Wunschprogramm in der Diskussion aufgekommen ist. Das hat sicher mit der Kommunikation zu tun. Aber in dieser Thematik bin ich nicht der richtige Ansprechpartner.

Trotzdem: Das nLT soll quasi sieben Tage/24 Stunden zugänglich sein, die drei Bühnen gleichzeitig unterschiedliche Nutzungen zulassen. Sogar den Begriff neues Kulturzentrum habe ich gelesen. Will man mit dieser Rede an das erfolgreiche KKL andocken?

Bestimmt nicht. Da täuscht du dich. Es ist vielmehr so, dass sich im Arbeitsschritt nach dem Wettbewerb im gleichen Projekt neue Möglichkeiten gezeigt haben. Das Projekt weist deshalb zusätzliche Qualitäten auf: Für seinen Auftritt mitten in der Stadt und den ganzen Betrieb im Inneren des Gebäudes. Augenfällig ist der grosse Theatersaal, der sich gegenüber dem Quai öffnen lässt; ein gutes Beispiel für die zeitgemässe Qualität einer Theaterinfrastruktur, die sich vor Ort in eine städtebauliche und sozialräumliche Umgebung integriert. Wir bauen heute keine abgeschlossenen Theaterräume mehr, um der bürgerlichen Gesellschaft im Stil des 19. Jhd. eine repräsentative Bühne anzubieten.

Die Anforderungen an das nLT haben mehr mit dem Bau einer Messehalle zu tun als mit (…) der Mailänder Skala.

Das nLT ist trotzdem viel mehr als ein Theaterhaus!

Vielleicht hast du das Raumprogramm und das Betriebskonzept zum nLT nicht gelesen: Die Anforderungen darin haben mehr mit dem Bau einer Messehalle zu tun als mit dem Betrieb oder der Infrastruktur der Mailänder Skala. Im grossen Saal des nLT ist dadurch tatsächlich vieles möglich: Neben Tanz, Oper oder Schauspiel eben auch Musikevents oder eine Modenschau. Vielleicht klingt die Kommunikation nach anything goes. Tatsache ist: Das Kerngeschäft ist und bleibt der zeitgenössische Theaterbetrieb.

Zusammenbauen: Ansicht an die historische Fassade und die Stadtloggia über der grossen Bühne im Erdgeschoss.

Städtebaulich ist das nLT eine Herausforderung, salopp formuliert: eine enge Kiste. In der Tendenz werden Gebäude in der Projektierungsphase nicht kleiner. Wie viel Gestaltungsspielraum ist für die Umsetzung noch vorhanden?

Zwei Dinge sind in der Architektur wichtig: erstens die Qualität der Bestellung und zweitens die Robustheit des Konzepts. Aufgrund unserer Erfahrung haben wir ein gutes Gefühl, dass die Bestellung der Bauherrschaft zum künftigen Theaterbetrieb in Luzern relativ präzise ist. Die Überarbeitung des Wettbewerbsprojekts hat uns den vorhandenen Spielraum bzw. die vorhandene Kapazität aufgezeigt. Deshalb haben wir das Gesamtvolumen nochmals verkleinert, jedoch auf der Rückseite mit einer zusätzlichen Erschliessung ergänzt. Bei der Projektierung wird das Vorhabe Schritt für Schritt in seine definitive Form gebracht, vergleichbar mit einem Edelstein, der geschliffen wird. Entscheidend ist, dass die beteiligten Akteure und das Stimmvolk dem Rohling zutrauen, dass aus ihm ein wertvolles und robustes Glanzstück entsteht.

Die Arbeit am Rohling nLT beginnt, ein Ja zur Kreditabstimmung vorausgesetzt, im März 2025. Was sind dann die wichtigen Themen?

Wir werden einige Gewissheiten und Annahmen wieder hinterfragen. Vielleicht kommen neue Themen dazu. Aber dazu mache ich mir keine Gedanken, weil unser Projekt die Kapazität und die Qualität für diesen Prozess mitbringt. Die Situation ist nicht so, wie bei einem kreisrunden Gebäude von Mario Botta: Wenn du da einen Teil herausnimmst, dann fehlt ein Stück der Torte. Solche im übertragenen Sinn einschneidenden Veränderungen wird es beim nLT nicht mehr geben.

Zwei Dinge sind in der Architektur wichtig: erstens die Qualität der Bestellung und zweitens die Robustheit des Konzepts.

Die verbreitete Meinung lautet, die bei der Überarbeitung eingeführte Stadtloggia habe die allgemein kritische Haltung zum Wettbewerbsprojekt in eine positive Richtung gedreht. In einer auf Youtube publizierten Szene in der Jurysitzung hat Annette Gigon, eine Zürcher Kollegin, die Fassadenöffnung beim mittleren Saal als «Vogelkäfig» bezeichnet. Wie geht ihr mit dieser Kritik aus den eigenen Reihen um?

Architektur ist keine exakte Wissenschaft. Jede Kritik kann deshalb positiv und anregend sein. Wir treffen als Architekten immer wieder Entscheidungen, die wir später wieder hinterfragen. Ich glaube, Annette Gigon hat auf den Punkt gebracht, dass die Stadtloggia bzw. wie die neue Öffnung des Gebäudes zu einem attraktiven Ort werden kann. Sie kann dazu beitragen, dass das ganze Haus lebendig wird. Diesen Eindruck hinterliessen wohl auch die überarbeiteten Renderings mit der Ansicht an die Nordfassade. Etwas, was wir mit dem Entscheid in Kauf genommen haben, ist, dass wir die volumetrische Strenge unserer Baukörper aus architektonischer Sicht gelockert haben. In der ersten Phase des Wettbewerbs waren die Volumen sehr streng und hatten präzise geschnittene Fenster. Dieser Strenge haben wir in der zweiten Phase der Überarbeitung die Spitze genommen. Deshalb wirkt das Gebäude von aussen nun zugänglicher und offener.

Der Eingriff in die vorher geschlossene Fassade erfolgt als Reaktion auf die kritischen Stimmen, die vor allem von den Lokalmedien bewirtschaftet wurden. Machen mediale Diskussions- und Umfrageformate zu Architekturbildern überhaupt Sinn?

Aus akademischer Perspektive mag die Stadtloggia vielleicht als eine Schwächung des Konzepts aus dem Wettbewerb erscheinen. Dass wir von dieser Strenge abgewichen sind, ist möglicherweise genau das, was Annette Gigon mit dem «Vogelkäfig» angesprochen hat. Das ist ihre Aufgabe und Sicht als Jurymitglied. Die Diskussion um die Stadtloggia steht stellvertretend dafür, was ich grundsätzlich meine: Architektur ist keine exakte Wissenschaft.

Trotzdem ist es vertrauensbildend, wenn klar ist, wer für die Qualität der Architektur einsteht und wer im weiteren Planungs- und Bauprozess darüber befindet. Beim Bau des KKL stand Jean Nouvel , als der Mann für das Auge, für die Werktreue und damit für die architektonischen Entscheidungen. Wie sind die Rollen beim nLT verteilt?

Das ist eine schwierige Frage. – . Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was du meinst aber jetzt ist es mir klar: Was wir alle nicht wollen, das ist die bereits erwähnte Daumendemokratie, wenn es um das Vorhaben und die Architektur des nLT geht: I like oder I don’t like.

Begleitet eine Jury den Prozess weiter?

Nein. Die Arbeit der Jury ist beendet, weil die Überarbeitung unseres Siegerprojekts aus dem Wettbewerb abgeschlossen ist. Im Vorprojekt müssen dennoch räumliche und konstruktive Details architektonisch gut gelöst werden. Und wenn du schon Jean Nouvel ansprichst: Ich denke, die Rolle, die er beim Bau des KKL intern und in der Kommunikation hatte, ist Geschichte

Wie meinst du das?

Ich meine, das Bild bzw. die Rolle des omnipotenten Architekten, der ein Projekt im Kopf hat und dann 1:1 umsetzt, ist Geschichte. So haben wir das in Einzelfällen noch im Studium von unseren Professor:innen gelernt. Jean Nouvels Rolle war eine nach aussen vermittelte. Tatsächlich waren seine Aufgaben als Architekt in Luzern viel komplexer. Auch er hat das Projekt nicht im Alleingang, sondern zusammen mit einem Team realisiert.

Was bleibt alternativ zum Bild des Stararchitekten, der über eine umfassende Definitions- bzw. Entscheidungsmacht verfügt?

Unsere Quellen sind der Dialog, unser Know-how sowie eine Gruppe von Akteur:innen und Zugewandten, die im Rahmen der Überarbeitung des Projekts genau verstanden haben, was wir hier tun, und deshalb das Projekt mittragen. Kommt hinzu: Heutzutage sind Entscheidungsprozesse viel komplexer als vor 25 bis 30 Jahren. Als Architekt:innen haben wir mit verschiedensten Interessen aus Gremien und aus der Projektorganisation umzugehen. Steht in dieser Phase ein robustes architektonisches Projekt zur Verfügung, dann macht das die erfolgreiche Umsetzung einfacher.

1838 wurde das Theater mit Friedrich Schillers «Wilhelm Tell» eröffnet. Zum 125-Jahr-Jubiläum 1964 zitierte Stadtpräsident Kopp ebenfalls Schiller: «Alle Kunst ist der Freude gewidmet und es gibt keine ernsthaftere Aufgabe, als die Menschen zu beglücken.» Was wünscht du dir zur Eröffnung des nLT auf der Bühne?

Oh, das habe ich mir noch nicht überlegt.

Du kannst aus den Sparten Tanz, Oper oder Schauspiel auswählen.

Im Moment wünsche ich mir nur, dass die absehbare Abstimmung im Frühling erfolgreich sein wird. Bei einem Ja können wir das Vorprojekt weiterentwickeln und ein Gebäude schaffen, das alle Luzerner:innen verbindet. Ein Theaterstück, das dieses Motto anlässlich einer Eröffnung künstlerisch auf der neuen Bühne zum Ausdruck bringen kann, wäre perfekt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview fand am 14. Oktober 2024 in Zürich statt.