Das Nein zum neuen Luzerner Theater (nLT) eröffnet Raum für neue, prüfenswerte Szenarien – etwa ein Theaterquartier mitten in der Innenstadt. Dafür braucht es Offenheit, Ausdauer und Feingefühl im Tanz zwischen Verwaltung und Mitwirkung durch die Bevölkerung – genau daran ist das nLT gescheitert. Ab der kommenden Spielzeit 25/26 gilt für den Betrieb und die Zukunftsplanung das gemeinsame Motto: „Morgen ist die Frage“, nicht mehr der richtige Abstand zur Jesuitenkirche.

„Theater ist per se eine partizipative Grundform“, Ina Karr, Intendantin LT, 2024

sta/4/25 Am 9. Februar 2025 lehnten 58 % der Luzerner Bevölkerung den Kreditantrag von 13.8 Mio. CHF für das neue Luzerner Theater (nLT) ab – eine dreifache Absage an die städtische Kulturpolitik: Erstens an die Vertrauensfrage, die sich Stadtrat und Parlament mit dem Kreditantrag an die Bevölkerung freiwillig gestellt hatten. Zweitens an das Siegerpojekt der Ilg Santer Architekten, dem die Akzeptanz in der Bevölkerung fehlte. Und schliesslich war es ein Nein zur einseitig technokratischen Vorgehensweise bei der Theaterplanung.

«Möge das neue Theater, so wie es eine Zierde der Stadt ist, auch ein neuer Einigungspunkt des gesellschaftlichen Lebens fortan sein und bleiben. Und das wird es auch (…). Eidgenosse, 11.11.1839; in: R. Kaufmann, 125 Jahre Stadttheater Luzern, 1839 bis 1964.

Das nLT war der vierte Anlauf für einen Ersatzbau seit der Eröffnung des Theaters 1839. Drei frühere Neubauversuche scheiterten 1925, 1959 und 1962. Der letzte grosse Umbau erfolgte 1968 mit der Erweiterung des Foyers. Die finanziellen Mittel, um das Luzerner Theater nach dem Nein bautechnisch und betrieblich für die nächsten Jahre instand zu setzen, sind bereits gesprochen. Luzern schafft sich dadurch Zeit, ein zukunftsfähiges Szenario zu entwickeln.

Wahrheit der Situation

Was bedeutet das für die Politik? Allen voran wartet Stadtpräsident und Kulturchef Beat Züsli auf Erkenntnisse aus der Bevölkerungsbefragung. Die Kritik kann bereits eigene Annahmen treffen:

  • Kulturelle Grossprojekte nach Verwaltungslogik haben in Zeiten von politisch-sozialräumlichen Bewegungen wie Reclaim the Street oder Recht auf Stadt einen schweren Stand.
  • Das nLT hätte einer privilegierten Kulturkonsumentenschaft an zentraler Lage eine Infrastruktur geschaffen und rundherum Resträume hinterlassen – darüber konnte auch das Foyer Public nicht hinwegtäuschen.
  • Ein Theaterneubau hatte ohne eine breite Mitwirkung geringe Erfolgsaussichten, das wusste auch der Stadtrat. Sein politischer Wille zu einer kooperativen Planung kam für das nLT jedoch zu spät zum Ausdruck. „Es ist ein übergeordnetes Ziel des Stadtrates, dass die Vorhaben und Projekte der Stadt Luzern kooperativ und partizipativ geplant und umgesetzt werden“, steht im Leitfaden Partizipationsprozesse von 2023.
  • Der Weckruf von Beat Züsli unmittelbar nach dem einstimmigen Ja im Parlament zur Kreditvorlage verfehlte seine Wirkung: Die Abstimmung werde „eine ganz andere Nummer“, wandte er sich mahnend an die Mitglieder.

Mitbestimmung ist toll, von einfach war nie die Rede“, Aufkleber der Stadt Luzern

K(r)ampf mit der Denkmalpflege

Ein weiterer Aspekt: Der frühe Einbezug der Denkmalpflege im Planungsprozess stand sinnbildlich für eine der Verwaltungslogik folgende (technokratische) Planung mit dem Ziel politischer Legitimation und Planungssicherheit. Die Öffentlichkeit durfte zusehen, wie Behörden und Fachleute über den richtigen Abstand eines Neubaus zur Jesuitenkirche diskutierten – Einigkeit bestand zuletzt bestenfalls darin, uneins zu sein. Nach dem K(r)ampf mit der Denkmalpflege sorgte der Architekturwettbewerb dann für eine Überraschung: Das Siegerprojekt überall bewahrte Teile der bestehenden Fassade als Denkmal und kombinierte sie mit einem Neubau, der mit seinen Anforderungen eher an eine Messehalle als ein Opernhaus erinnerte, wie nLT-Architekt Marcel Santer gegenüber stadtfragen.ch erklärte.

Falsches Projekt?

Wenn ein Projekt im Wettbewerb mit rund 200 Projekten obsiegt, spricht das zwar für die Qualität der Architektur – jedoch noch nicht für seine gesellschaftliche Tragfähigkeit und Akzeptanz. Das nLT ist aus dieser Sicht ein Schulbeispiel zum Thema öffentliche Kommunikation: Politische Legitimation, Akzeptanz und persönliche Zustimmung entscheiden eine Abstimmung. Dem Siegerprojekt fehlte die Akzeptanz. Ob überall das falsche Projekt war, klärt erst die Befragung der Bevölkerung. Die Eigentümerschaft und die Betreiber, Politik und Verwaltung sowie die Projektverantwortlichen werden sich gleichzeitig mit ihrer eigenen Rolle und Performanz bei der Bestellung und Beurteilung des Siegerprojekts kritisch auseinandersetzen müssen. Die entscheidenden, streitbaren Fragen stehen noch im Raum:

  • Bleibt die Leistungsvereinbarung des LT mit dem Zweckverband grosser Kulturbetriebe bestehen?
  • In welchem Rahmen wird darüber gestritten und verhandelt?
  • Ist am Theaterplatz ein zweiter Versuch für eine intendantisch geführte, mehrspartige und produzierende Infrastruktur mit eigenem Ensemble am Theaterplatz zukunftsfähig?
  • Unter welchen Umständen wird der Standort Theaterplatz fallen gelassen?
Bühne frei für den neuen Theaterplatz als Kern eines Theaterquartiers mitten in der Innenstadt (Stadtfragen / ChatGPT)

Ein Statement für die Kooperation

Aus den bisherigen Annahmen lassen sich noch keine Zukunftsrezepte ableiten. Auch die Liste der Zuschreibungen, die das Theater im 21. Jahrhundert bei einer Informationsveranstaltung im April 2024 erhielt – Bühne, Säule der Demokratie, Maschine zur Geldvernichtung, Kulturzentrum, Dialograum für Innovation, Agora, urbanes Wohnzimmer, exklusive Kulturstätte, Heimat – ist dafür zu lang. Ein erster Schritt in Richtung eines Gegenentwurfs zum gescheiterten nLT wäre ein starkes Committment zu einer kooperativen Planung. Sie basiert auf Mitwirkung, Offenheit und einer allparteilichen Haltung, die nicht hauptsächlich Inhalte und Lösungswege vorgibt, sondern zuhört und Mitwirkung als Teil der Lösungsfindung einsetzt. In Kooperation mit den wichtigsten Akteuren gäbe es ebenfalls streitbare, jedoch offenere Fragen zu stellen und zu beantworten:

  • Welches Szenario zur künftigen Theaterlandschaft Luzern ist kulturell, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich überhaupt noch tragfähig – wie, wo und durch wen?
  • Was bedeuten tragfähige Szenarien für den Leistungsauftrag und die künftige Infrastruktur des Luzerner Theaters?

Bühne, Säule der Demokratie, Maschine zur Geldvernichtung, Kulturzentrum, Dialograum für Innovation, Agora, urbanes Wohnzimmer, exklusive Kulturstätte, Heimat. Stichworte aus der Informationsveranstaltung im April 2024 zum Theater des 21. Jahrhunderts.

Das Dossier neues Luzerner Theater auf Flughöhe von Szenarien wieder aufzunehmen, ist kein Schritt zurück auf Feld eins. Im Gegenteil: Das Vorgehen öffnet neue Räume – sinnbildlich und ganz konkret.

Theaterquartier statt Neubauinsel

Kritik ohne einen Blick in das Reich der Möglichkeiten gleicht der Gefahr, im Wüstensand zu versinken. Statt weiterhin auf maximale bauliche Verdichtung am Theaterplatz zu setzen, bietet sich der offene Blick über den Tellerrand in die Nachbarschaft und Umgebung des Theaterplatzes an. Hier könnte sich ein Theaterquartier entwickeln, das bestehende und neue Orte für Produktion, Aufführung, Vermittlung und Verwaltung umfasst: Ein Neubau auf dem Theaterplatz; Zwischennutzungen wie die Box, Spezialitäten wie das UG; bestehende und zusätzliche Gastronomie, private Gewerbe-, Büro- und Wohnräume auf der Buobenmatt; die Bibliothek; polyvalente, d.h. mehrfach nutzbare Räumlichkeiten und Einrichtungen von Kanton, Stadt und Kirche. Das vorhandene Freiraumnetz mit Pocketparks, Innenhöfen, dem Vögeligärtli, Bahnhofstrasse und Bahnhofplatz sowie die Quaianlagen bietet ebenfalls Anknüpfungspunkte.

Die Aufzählung zeigt: Vor einem weiteren Versuch mit einer Neubauinsel auf dem Theaterplatz oder dem Entscheid, den Standort fallen zu lassen, sollten die Kapazitäten eines Theaterquartiers in der Innenstadt ernsthaft ausgelotet werden. Das Szenario würde propagieren, aus der heutigen betrieblichen und logistischen Not, die dezentrale Einrichtungen verursachen, eine Tugend für die Zukunft am Standort Theaterplatz zu machen.

Mut zum Balanceakt

Das Szenario Theaterquartier ist aus Sicht einer nachhaltigen Stadtteilpolitik plausibel und aktuell. Es setzt auf lokale verankerte Akteure und Investitionen – als Gegenkraft zum Immobilienbusiness von globalen Brands in der Altstadt. Die schrittweise Entwicklung, Planung und Umsetzung eines Theaterquartiers verlangt deshalb nach einem Gleichgewicht zwischen technokratischen und kooperativen Planungsansätzen.

Die US-Stadtforscherin und Architekturkritikerin Jane Jacobs forderte bereits vor 60 Jahren ein Gleichgewicht zwischen Verwaltung und Mitwirkung der Bevölkerung – andernfalls drohe der Stadtentwicklung ein Scheitern. Solange Theater ein Theater für alle sein soll, muss dieses Gleichgewicht insbesondere in der Kulturpolitik günstig sein. Warum der Tanz bzw. die Mitwirkung beim nLT nicht – oder nur im kleinen Kreis – stattfand, bleibt unbeantwortet. Doch klar ist: Echte Kooperation als Teil der richtigen Lösung braucht Klarheit und Ausdauer: „Mitbestimmung ist toll, von einfach war nie die Rede“, steht auf einem Aufkleber der Stadt Luzern.

Szenische Stadtentwicklung

Ein Theaterquartier mitten in der Innenstadt Luzern steht für eine kulturell fundierte, wirtschaftlich tragfähige, alltagsnahe Stadtidee – auch für den Tourismus und das Gewerbe. Für Stadt, Theater, Vereine, Kulturschaffende, Grundeigentümerschaften, die Bevölkerung und Institutionen ergäbe sich die Chance, die Gretchenfrage gemeinsam zu verhandeln:

„Wie ernst ist es uns wirklich mit dem Luzerner Theater mitten in der Innenstadt?“

Jane Jacobs hätte der Idee wohl zugestimmt – mit der Vision eines Quartiers als Bühne mit vielen Spielorten und kreativen Akteuren.

„Morgen ist die Frage“

Im Luzerner Theater wird seit dem 9. Februar 2025 erfolgreich weitergespielt. Ein Theaterquartier Luzern wäre ein Steilpass an Politik, Wirtschaft und Kultur – mit breiterer Verantwortung für Erfolg und Misserfolg. Die Hauptaufgabe der Trägerschaft bestünde darin, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen – im Rückblick auf das nLT und im Blick nach vorn.

Auf dem schattigen Quai, der vom Bahnhofplatz ausgeht, an grossartigen Gasthöfen vorbei, gelangen wir zum Theater und zur Jesuitenkirche (…) Im Winter aber, wo Luzern seine grossen Ferien hat, ist es eine Lieblingserholungsstätte der Einheimischen.» aus: Offizielle Verkehrskommission Hrsg.: «Führer für Luzern, Vierwaldstättersee und Umgebung», Bucher, 2. Mai 1893, S.30, Sonderdruck im Rahmen des Besuchs des deutschen Kaiserpaars Wilhelm II. und Auguste Victoria.)

Die Stadt Luzern wächst – dort, wo Menschen sich begegnen und engagieren, tätig sind. Das Theaterquartier bietet die Chance, genau das sichtbar zu machen – im Zentrum der Stadt und im Dreieck von Bahnhof, Altstadt und dem Theaterplatz als kulturellem Knotenpunkt. Ganz im Sinn der neuen Theaterspielzeit 25/26 gilt: „Morgen ist die Frage“, nicht länger der richtige Abstand zur Jesuitenkirche.