25 Jahre nach der Eröffnung des Konzertsaals im KKL Luzern traf Stadtfragen den Architekten Stefan Zopp zum Gespräch. Seine Zusammenarbeit mit dem Pariser Architekten Jean Nouvel startete 1994 mit dem KKL und endete 2021 mit Projekten in China. Wie in der französischen Hauptstadt üblich, fand das Treffen bei einem Essen statt: im Hirschen in Oberkirch.
sta/Luzern. Es gab Jahre, in denen ist Stefan Zopp, Architekt BSA, dreimal um die Welt gereist. Die Reise begann 1994 in Luzern: Zopp übernimmt vom Büro Jean Nouvel, Emmanuel Cattani Partner (JNEC) den Auftrag für die gestalterische Leitung beim Bau des Konzertsaals im KKL Luzern. 2021 hat der gebürtige Urner seine Arbeit für AJN (Ateliers Jean Nouvel) beendet, als Partner und Studio Direktor. 2022 ist er mit seinem eigenen Architektur- und Planungsbüro von Paris nach Luzern umgezogen.
Im Interview mit Stadtfragen spricht Stefan Zopp über seine Herkunft, erinnert sich an die Wende im Streit um die Farbe im KKL-Konzertsaal und gibt Auskunft über seine Zusammenarbeit mit Jean Nouvel u.a. an Projekten in Kopenhagen, Abu Dhabi und in China.
Stefan – dich aufzufinden, war eine Herausforderung. Ich habe mir bereits Sorgen gemacht, dass du dich, nach deinen Reisen um die halbe Welt, als Pensionär in die Walliser Berge zurückgezogen hast.
Stefan Zopp (SZ): Das bestimmt nicht! Wie kommst du denn darauf?
Ich weiss, dass du gerne und oft im Wallis bist. Zudem hat deine Firma keine Website, dein LinkedIn-Profil bescheidene 134 Follower und bisher keinerlei Aktivitäten.
SZ: Das heisst noch lange nicht, dass ich mich verstecke. Dass ich keine Homepage habe, liegt daran, dass ich über 30 Jahre lang die meiste Zeit selbstständig für andere Büros unterwegs war. Mit meinem eigenen Büro habe ich in dieser Zeit vielleicht 20 Gebäude realisiert – für die braucht es keine Webseite.
Diejenigen, die sich für meine Gebäude wirklich interessieren, finden sie auch ohne Facebook.
Das klingt bescheiden. Trotzdem: Deine Konkurrenz setzt schon länger auf Social Media.
SZ: Mich interessiert zunächst nur meine eigene Arbeit, jedes einzelne meiner Projekte. Irgendwann sind sie abgeschlossen und haben hoffentlich einen baukulturellen Wert. Das hat für mich Bedeutung, nicht der Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit. Diejenigen, die sich für meine Gebäude wirklich interessieren, finden sie auch ohne Facebook und Co. Beweise dafür liefern die Gäste, die hier im Hotel und Restaurant Hirschen übernachten und essen, weil sie sich für die Architektur interessieren.
Du bist oft im Walliser Dorf Zeneggen. Gleichzeitig mietest du in Luzern eine Wohnung. Weshalb hast du dein Architektur- und Planungsbüro ebenfalls nach Luzern verlegt?
SZ: Ich hatte mein Büro aus rechtlichem Grund in Paris. Als ich 1994 als Projektleiter für den Bau des Konzertsaals im KKL anfing, gab es für Schweizer:innen in der EU noch keine Personen-freizügigkeit. So war ich als selbstständiger Architekt gezwungen, in Paris ein Büro zu gründen. Mein Büro war zudem für mich wichtig, weil ich mich als externer Projektleiter nie ausruhen und auf den nächsten Auftrag hoffen konnte. Ob in Paris, bei Daniel Libeskind in Berlin oder sonst wo: Meine finanzielle Situation war jeweils bis und mit der Ausführung eines Projekts beständig, danach eher unbeständig. Dank Direktaufträgen und gewonnenen Wettbewerben konnte ich dann meine eigenen Bauten realisieren. Nach meiner Zeit in Paris zügelte mein Büro 2021 zuerst nach Zeneggen, wo wir im Quartier Steiachra den Wettbewerb für Eigentumswohnungen gewonnen und das Projekt gebaut haben. Heute ist mein Bürositz in Luzern. Wir sind ein Team von fünf Leuten.
Du bist gebürtiger Urner. Wie stark bist du noch mit deiner Heimat verbunden?
SZ: Ich bin in Bürglen geboren und in Altdorf aufgewachsen. Mein Heimatort ist Andermatt. Dorthin habe ich im Kanton Uri bis heute die besten Beziehungen. Den Unternehmer Sami Sawiris traf ich dort mehrmals.
Hast du ihm gesagt, was du über die bauliche Entwicklung in Andermatt denkst?
SZ: Nicht direkt, aber: Aus meiner Sicht hat Andermatt seine Probleme und Hausaufgaben mit dem Dorfkern weder richtig erkannt noch gut gelöst. Das Swiss Alps Resort liegt etwa einen Kilometer vom Dorfkern entfernt, quasi hinter den Geleisen und zu Fuss schlecht erreichbar. Die beiden Orte, das Alte und das Neue, führen höchstens eine Fernbeziehung. Zugegeben: Einzelne Neubauten wie The Chedi haben bauliche Qualitäten. Schaut man jedoch genauer hin, dann ist die Dorfentwicklung in Andermatt ortsbaulich trotzdem nicht gelungen – ein paar profitable Liegenschaften wurden gebaut, das macht aber noch keine nachhaltige Entwicklung aus. Sami Sawiris würde ich deshalb gerne erklären, wie Andermatt mehr von seinen Investitionen profitiert hätte.
Wie hättest du das Problem mit dem «serbelnden Dorfkern» gelöst?
SZ: Ich hätte mit der baulichen Entwicklung direkt beim Dorfkern angesetzt. Der dazu notwendige Raum wäre dagewesen. Das Luxushotel The Chedi ist im besten Fall eine Teilantwort auf den Ansatz, Alt und Neu stimmig miteinander zu verbinden. Auch der heutige Hotelstandort hätte es zugelassen, sorgfältiger und präziser auf die ortsbauliche Situation einzugehen bzw. den Anschluss an die Umgebung überzeugender zu gestalten.
Schaut man genauer hin, dann ist die Dorfentwicklung in Andermatt ortsbaulich nicht gelungen – ein paar profitable Liegenschaften machen noch keine Nachhaltigkeit.
Bei all deiner Kritik: In den Architekturmagazinen wird über Andermatt viel Positives publiziert.
SZ: Das ist tatsächlich so. Und das befremdet mich sehr.
Andermatt ist dein Heimatort, aufgewachsen bist du in Altdorf. Wie hat die dörfliche Umgebung dort deine Berufswahl beeinflusst?
SZ: Das Dorfleben nicht direkt. Und mein Berufswunsch war ja auch nicht Architekt, sondern Grafiker. Tino Steinemann, der in Altdorf geborene Grafiker und Gestalter, war mein grosses Vorbild. Er absolvierte Mitte der 1960er Jahre allerdings zuerst eine Ausbildung zum Hochbauzeichner. Unsere beiden Väter waren damals Berufskollegen bei der Dätwyler AG. So kam es, dass mein Vater auch der Meinung war, dass ich zuerst Hochbauzeichner lernen sollte, um danach Grafiker zu werden. So gesehen hat der familiäre Freundeskreis im Dorf meinen Berufsweg doch mitgeprägt.
Anstatt Grafiker zu werden, bist du an der Reissschiene sitzengeblieben.
SZ: Das kann man so sagen. Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit: In der Berufslehre kam ich zuerst in Kontakt mit der Bauentwurfslehre von Ernst Neufert, einem Standardwerk. Danach lernte ich nach und nach spannende Bauten von verschiedenen Architekt:innen kennen. Bald schien mir die Architektur doch der bessere Weg zu sein.
Weshalb?
SZ: Das Handwerk, die Arbeit mit Material und die Möglichkeit, Räume dreidimensional zu denken und zu bauen: Diese Aufgaben reizten mich mehr als die grafische Arbeit. Ich weiss noch, wie ich als Lehrling meine erste Wendeltreppe zeichnen durfte. Mein Chef gab mir dazu die klare Vorgabe, dass ich am Bau nicht den Kopf daran anschlage, was dann auch gut funktioniert hat.
Wie hat dich der praxisnahe Einstieg in die Architektur später als Dozent geprägt?
SZ: Zuerst hatte ich an der ETH Zürich eine Assistenz für konstruktiven Entwurf bei Prof. Herbert E. Kramel (†2022). Als Dozent an der ZHAW in Winterthur habe ich den Studierenden zu vermitteln versucht, dass der menschliche Massstab im Mittelpunkt der Architektur steht, und zwar egal, ob es im Raumprogramm um eine Garage, eine Wohnung, einen Saal – oder um eine Wendeltreppe geht.
Gibt es nicht doch einen grossen Unterschied zwischen funktionalen Bauten und guter Architektur?
SZ: Es ist ein Unsinn, zwischen funktionalen Bauten und guter Architektur zu unterscheiden. Für mich sind Spitäler, Konzertsäle oder Wohngebäude ebenso funktional wie ein Logistikzentrum, ein Materialdepot, eine Garage oder ein Hangar für Flugzeuge. Es gibt für mich deshalb keine Ausrede dafür, so genannte rein funktionale Bauten vom Anspruch zu befreien, architektonische Qualität zu haben. Tut man das, wird ein Gebäude vorzeitig in seinem Wert, in seinem Dienst an den Nutzer:innen und in seinem Beitrag an seine Umgebung abgewertet.
Trotzdem: Der Preis für die Architektur eines Theaters liegt höher als beim Bau einer Lagerhalle, auch wenn sie eine gewisse architektonische Qualität ausweist.
SZ: Das ist einfach nicht wahr. Kulturbauten sind nicht von sich aus teurer als andere Gebäude, nur weil sie gestalterisch anspruchsvoller und architektonisch gut gelöst sind. Ich bleibe dabei: Jedes Gebäude, jede architektonische Gestaltung muss funktionieren. Und jede Funktion bzw. Nutzung ist auf architektonische Werte angewiesen; das richtige Licht, stimmige Proportionen im menschlichen Massstab, auf Orientierung und Raumabfolgen, die gut erreichbar, zugänglich, verständlich und nutzbar sind. Die Unterscheidung zwischen funktionalen Bauten und Architektur ist daher hinfällig. Allenfalls ist der Unterschied in der Theorie noch eine Frage.
Das hört sich für mich danach an, als träfe dein universeller Anspruch an die Architektur nicht immer nur auf positive Resonanz.
SZ: Das ist leider so. Vor allem nach dem Bau des Konzertsaals in Luzern, als ich von Bauherrschaften in meinem Umfeld nicht selten hörte, das KKL sei zwar ästhetisch aussergewöhnlich, jedoch ebenso ein teures Denkmal, das nicht einfach nur funktionieren müsse. Diese Sichtweise ist Unfug. Ich erinnere mich daran, wie viel Technik wir im Konzertsaalgebäude einbauten, damit jedes Konzert ein akustisches Erlebnis ist. Das Herz des KKL besteht ungefähr zu einem Drittel aus dem Volumen des Konzertsaals, zwei Drittel sind Technik! Deshalb: Architektur schafft nicht nur Werte, wenn sie schön ist, sondern auch dann, wenn sie eine Maschine ist.
(…) oder wenn sie einen Beitrag an ihren Standort leistet.
SZ: Genau. Das ist in Luzern der Fall. Das KKL ist ein Motor für die räumliche, politische und wirtschaftliche Stadtentwicklung, die gleichzeitig die Tradition der Musikstadt fortsetzt. Davon profitieren bereits seit über zwanzig Jahren neben dem Gewerbe nachweislich auch lokale Kulturinstitutionen und natürlich die weltweite, touristische Ausstrahlung der Destination Luzern.
Stellen wir die Zeitmaschine auf den 11. September 1997. Im Konzertsaal findet eine Bemusterung zur Saalfarbe statt. Wie hast du damals den Wendepunkt im Streit um Jean Nouvels polychromes Farbkonzept in Blau-Rot erlebt?
SZ: Die Bemusterung fand rund ein Jahr vor der Eröffnung des Konzertsaals statt. Ich erinnere mich gut: Wir kamen aus der Echokammer auf der zweiten Balkonebene in das Saalinnere, der blaue Sternenhimmel war schon gestrichen, die Innenwände teilweise auch schon blau gemalt – und dann sagt Jean Nouvel beim ersten Anblick: «Ça ne va pas!» Es schien, als realisierte Jean, leicht konsterniert, dass die blauen Farben die erhoffte Tiefenwirkung, das Licht und Schattenspiel und damit die gestalterische Vielfalt der fünf unterschiedlich profilierten Gipselemente zu stark neutralisierten. Ich erinnere mich noch, wie sein damals wichtigster Sparringpartner, der Soziologe Hubert Tonka, an seiner Seite die überraschende Situation sinngemäss so kommentierte: «Du hast noch nie mit Farben umgehen können, das hier ist der Beweis.»
Der Entscheid für die Salle Blanche und gegen das Farbkonzept in Blau-Rot von AJN hat den Kreis der Dirigenten rund um Claudio Abbado († 2014) ziemlich erleichtert. Russell Johnson (†2014), der zuständig für die Akustik war, konnte einen längeren Konflikt für sich entscheiden. Wie hast du die Zusammenarbeit mit Johnson und seiner Firma ARTEC erlebt?
SZ: Die Ideen für die Gestaltung der Saaloberfläche von AJN und ARTEC waren zu Beginn der Zusammenarbeit fast grundsätzlich verschieden: Jean Nouvel ging vom Bild afrikanischer Masken aus, Russell Johnson von einem strukturierten Verputz. Die gezeichneten Varianten für das Design der rund zwanzig Tausend Gipselemente an der Oberfläche des Saals trug ich zuletzt selbst zwischen dem Baubüro auf der KKL Baustelle am Europaplatz und dem Hotelzimmer von Russell Johnson hin und her. Bei dieser Gelegenheit lernte ich den Architekten und Akustiker Johnson besser kennen; als Spassvogel und schweigsamen Taktiker. Zu einer Zusammenarbeit zwischen AJN und ARTEC kam es nach dem KKL nicht mehr.
Das heisst, die beiden Chefs haben sich in Sachen Saaloberfläche nicht direkt an einen Tisch gesetzt?
SZ: Nein, soviel ich mich erinnere. Wir haben nach der Eröffnung in Luzern versucht, mit ARTEC gemeinsam an Wettbewerben teilzunehmen. Es gab sogar ein gemeinsames Nachtessen, jedoch ohne Erfolg.
Reden wir wieder über AJN: Die Firma sei viel mehr als die Person Jean Nouvel, hast du mir einmal gesagt. Was hast du damit gemeint?
SZ: Jean Nouvel beschäftigt immer talentierte Mitarbeitende, was im medialen Rummel um seine Person jedoch gerne vergessen geht. Für mich war das nicht immer einfach. Viele Projektideen des Chefs, über die wir in den Ateliers zuerst diskutierten, waren planungsrechtlich, im Entwurf und bautechnisch nicht einfach so umsetzbar. Weil Jean selbst 50 oder 60 Projekte gleichzeitig überschaute, zählte er in meiner Zeit deshalb auf Mitarbeitende, die entscheidend dazu beitrugen, dass die Umsetzung seiner Ideen und Konzepte gelang. In meinem Fall hat er mir seine Ideen und Konzepte oft beim Essen in Form einer Geschichte erzählt. Wie ich und viele andere, die AJN ausmachten, haben diese Geschichten bestmöglich gebaut: Deshalb ist AJN eben mehr als Jean Nouvel.
Wie kann ich mir deine tägliche Arbeit konkret vorstellen?
SZ: Jean hat die einzelnen Projekte nie aus den Augen verloren. Ich erinnere mich nur an einen Wettbewerb, den er nicht zu 100 Prozent persönlich begleitet hat. Als Projektleitende waren wir für die kritische Auseinandersetzung mit dem Raumprogramm von Direktaufträgen und Wettbewerben verantwortlich. Als Vorarbeit legten wir Recherchen an und machten städtebauliche Analysen. Jean Nouvel kam dann gewöhnlich unangemeldet dazu und stellte eine oder zwei Fragen. Nach einer kurzen Pause sagte er gewöhnlich, wie die beste Lösung aussieht: «Donc, c’est clair.»
Und alle waren damit einverstanden?
SZ: Das weiss ich nicht. Zu seinen konzeptionellen Ideen gab es weder eine offene Diskussion noch direkten Widerspruch, im Sinn von: Sorry, das geht so nicht.
Das klingt nach einer autoritären Bürokultur: Der Chef hat die Ideen, der Rest nickt ab.
SZ: Nein, nein, die Kultur in den Ateliers habe ich gar nicht als autoritär erlebt! Wir waren als Partner mit ihm immer auf Augenhöhe. Der fehlende Widerspruch hatte einen anderen Grund: Die Ideen, mit denen er zu uns kam, haben uns immer überzeugt! Man muss sich das so vorstellen: Seine Arbeit begann am frühen Morgen zuhause. Danach erzählte er uns im Atelier zu einzelnen Projekten eine Art Filmgeschichte. In der Szenografie war das Konzept bzw. die Entwurfsidee verpackt. Wenn ich in einem Projekt nicht weiterwusste, justierte er die ursprüngliche Geschichte so lange, bis sie wieder gestimmt hat.
Und er hat sich niemals geirrt?
SZ: Natürlich gab und gibt es Gebäude, die seine Ideen nicht 1:1 umsetzten, weil sie im positiven Sinn vielleicht etwas verrückt waren. In einer Sache hat er sich tatsächlich nie geirrt: im richtigen Massstab der Gebäude. Jean Nouvel erkennt in einem Projekt immer sehr schnell und präzis, wie gross ein oder mehrere Gebäude an einem Ort sein dürfen, wie sie sich in der Umgebung durch Grösse, Lage und Ausrichtung städtebaulich zu verhalten haben. Hinzu kommt, dass er den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund eines Auftrags, die wesentlichen Geschichten und Themen, die ein Bauprogramm nur indirekt abbilden kann, sehr gut in eine tragende Entwurfsidee übersetzen kann.
Wie hast du deine langjährige Projektarbeit für AJN in verschiedenen Ländern erlebt?
SZ: Meine Auslandprojekte nach dem KKL fingen von Paris aus im kleinen Massstab, mit dem Pavillon für die Weltausstellung in Hannover 2000, an. Weil ich nach den Abstechern im Studio Libeskind in Berlin und im Hochbauamt der Stadt Zürich, vier Jahre später, nicht wieder als Projektleiter zurück nach Paris gehen wollte, erhielt ich von AJN das Angebot, in Kopenhagen das DR Konzerthuset zu bauen, nun in der Funktion als Partner. Vor Ort in Kopenhagen leitete ich das Baubüro mit 24 Mitarbeitenden.
Was bedeutet es, bei AJN Partner zu sein?
SZ: Partner geniessen bei AJN das persönliche Vertrauen von Jean Nouvel. Gleichzeitig übernehmen sie mehr Verantwortung. Nach der Zusammenarbeit zwischen 1994 und 2000 sowie zwischen 2004 und 2021 hatte ich als Partner eher das Privileg, seine Ideen zu kritisieren. Zwei bis dreimal musste ich Jean sogar daran erinnern, dass es nicht an mir sei, Entwürfe abschliessend zu beurteilen. Das war vorher als Projektleiter noch anders.
Nach der Eröffnung des Konzerthauses in Kopenhagen 2009 ging es für dich für vier Jahre nach Abu Dhabi in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Hast du dir dort auch kritische Gedanken gemacht über die globale Architekturproduktion durch westliche Starbüros?
AZ: Eigentlich nicht. Die Situation in Abu Dhabi war die: Thomas Krens, ehemaliger Direktor der Solomon R. Guggenheim Foundation in New York City, hatte zuhanden des TDIC (Tourismus Development Investment Company) die Idee und ein Konzept formuliert, wie aus der Insel Saadiyat Island ein international bekannter Kultur-Distrikt entstehen kann. Sein Masterplan sah den Bau von fünf Museen für die Kunst vor. Das Museum Louvre in Abu Dhabi, dass wir 2009-2013 realisierten, ist eines davon. Es steht auf einer separaten, künstlichen Insel. Das Museum zeigt Werke, die in der Zeit von 6’000 vor Christus bis in die Neuzeit entstanden sind. Die Architektur gründet auf einem der wichtigsten Symbole in der arabischen Architektur: dem Dom. Die Dimension der halbdurchlässigen Flachkuppel hat einen Durchmesser von 180 Metern. Die grundlegende Idee war es, das Museum mit seiner Architektur symbolisch in den grösseren kulturellen Umbau des Landes einzuschreiben. Ob uns das gelungen ist, weiss ich nicht. Es ging sicher nicht darum, ortsfremde Spuren zu hinterlassen. Im Gegenteil: Die Szenografie der grossen Kuppel mit dem «Rain of Light», den speziellen Lichteffekten, hat sehr viel mit dem Standort, der Wüstenlandschaft und dem dortigen Licht zu tun.
Weshalb bis du unsicher, ob die kulturelle Einschreibung des Bauwerks gelungen ist?
SZ: Ein zentrales Anliegen von AJN war es, mit dem Louvre in Abu Dhabi neue Räume für die Kunst zu bauen. Die Ausstellungsobjekte sollten unbedingt dem architektonischen Wert des Gebäudes entsprechen. Mit anderen Worten: Es ging AJN nicht darum, eine schöne Hülle für irgendwelche Kunstwerke zu bauen. Das Ziel war ein architektonisch und künstlerisches Gesamtkunstwerk. Mit der Unterstützung durch das Louvre-Museum in Paris wusste Jean Nouvel mit diesem Anspruch so zu überzeugen, dass dieser im Vertrag zwischen dem Emirat Abu Dhabi und der Agence Franc-Museums1 (AFM) verankert wurde.
Was genau wurde darin geschrieben?
SZ: Frankreich bzw. die private Gesellschaft Agence France-Museums (AFM) gaben mit dem Vertag das Versprechen ab, Abu Dhabi beim Kauf der geeigneten Kunst für das Museum Louvre mit Beziehungen und Fachwissen zu unterstützen.
Jean Nouvel gab bei der Einrichtung des Louvre in Abu Dhabi zu den Kunstwerken seine Zustimmung.
Und welche Pflichten bestanden für die Bauherrschaft?
SZ: Die Pflichten waren etwas aussergewöhnlich: Scheich Chalifa bin Zayid Aal Nahan, der den Louvre in Abu Dhabi initiiert und 2017 eröffnet hatte, kam in der Bauphase vierteljährlich nach Paris, um zu erfahren, welche Kunstwerke gekauft bzw. ausgestellt werden sollten. Mit anderen Worten: Jean Nouvel gab zu den vorgeschlagenen Kunstwerk seine Zustimmung.
Wir pilgern also nach Abu Dhabi in den Louvre, um uns fernab der Heimat von der Pracht eines Monet oder anderen Werken westlicher Kunstgeschichte zu vergewissern2. Handelt es sich dabei um so etwas wie ein imperialistisches Architektur- und Kunstsightseeing?
SZ: Vielleicht. Und deshalb bin ich etwas unsicher, ob es gelungen ist, das Museum symbolisch in den grösseren kulturellen Umbau des Landes einzuschreiben. AJN war es jedoch ein wichtiges Anliegen, dem Bauherrn in Fernost, mit Unterstützung durch die AFM, die inklusive Qualität der Architektur und der darin ausgestellten Werke überzeugend zu vermitteln. Und diese einmalige Chance bot sich, weil der Bau des Museums in Abu Dhabi und der Kauf von 100 bis 150 Kunstwerken für den dortigen Louvre gleichzeitig erfolgt sind..
Worin liegt der nachhaltige Wert des Museums Louvre in Abu Dhabi?
SZ: Das Emirat verfolgt schon länger die Strategie, alternative Geschäftsbereiche zum Ölgeschäft aufzubauen. Mit einem Staatsfonds über 700-800 Milliarden CHF investiert VAE in Staaten wie den USA oder Deutschland. Parallel öffnet sich Abu Dhabi dem internationalen Tourismus mit kulturellen Einrichtungen: der Oper, dem Theater, mit Konzerthäusern und Museen. Darin liegt für die Destination Abu Dhabi der Wert des Louvre. Das Museum ist aus meiner Sicht und an diesem Ort zudem die richtige architektonische Lösung. Das Nationalmuseum von Katar in Doha, das AJN ebenfalls gebaut hat, folgte im Vergleich einem ganz anderen Anspruch. Das dort gezeigte Ausstellungsgut ist zu 100 Prozent einheimische Kultur, die Architektur des Museum stilisiert eine Wüstenrose.
Nach Abu Dhabi 2014 ging deine Reise weiter nach China. Dort hast du 2021 das Kapitel AJN abgeschlossen.
SZ: In China hatte ich zuerst die Aufgabe, das China-Atelier von AJN in Shanghai aufzubauen. Von dort aus haben wir die Projekte «Vanke» in Beijing, in Shanghai «Huai Hai» und das «Art Museum Pudong» sowie in Quing-Dao das Projekt «Jardin des Artistes» realisiert. Die letzten Jahre in China waren dann nicht einfach: Als Covid19 einschlug, wurden alle Projekte sistiert. Wir erlebten bei AJN eine ähnliche Situation wie schon 2008 während der Finanzkrise: Innerhalb von drei Jahren wurden viele Aufträge sistiert. Immerhin gewann unser Team in China die Wettbewerbe für das «National Art Museum of Beijing“ (NAMOC) und 2021 den internationalen Wettbewerb für das Opernhaus am Wasser in Shenzhen. Bei beiden Projekten ist noch unklar, ob sie gebaut werden. Ehrlich gesagt: Ich habe beide Projekte für mich persönlich noch nicht abgeschlossen.
Bedeutet das, du würdest für diese Projekten noch einmal als Projektleiter nach China gehen?
SZ schmunzelt: Projektleiter ist vielleicht etwas viel gesagt – aber Ja: Wenn ich tatsächlich noch einmal ein Konzerthaus bauen könnte, würde ich der Anfrage wahrscheinlich zusagen.
Allen Ernstes?
SZ: Mein Lieber, du hast noch nie ein Konzerthaus gebaut! Ich habe etwa zehn davon geplant und zwei von A bis Z gebaut. Wenn du einmal, so wie ich in Luzern und vor allem in Kopenhagen, die ersten Töne in einem neuen Saal gehört hast – dann bleiben unvergessliche Höhepunkte und ganz spezielle Glücksmomente in Erinnerung.
Vor 25 Jahren hast du im KKL Luzern Glücksmomente erlebt. Wie ist das Gebäude seither gealtert?
SZ: Jean Nouvel hat oft bemerkt, jedes neue Gebäude müsse sich in der Nutzung und im Betrieb zuerst noch setzen, am Ort verankern und sich erst dann als richtig oder falsch erweisen. Wie die Architektur sich mit der Zeit verändert, ist für AJN ein sehr wichtiges Thema. Beim KKL habe ich den Eindruck, dass das Haus ästhetisch nicht alt wird und auch noch keine Patina angesetzt hat. Das liegt sicher daran, dass bei AJN der Wert eines Details und die Haltung, die Sache, fein, sauber und korrekt zu machen, grossgeschrieben werden. Klar könnte man nach 25 Jahren einige Sanierungen erwarten. Aber ausser der Dachsanierung und den neuen Stoffbezügen im Konzertsaal ist das Gebäude aus meiner Sicht immer noch dasselbe wie 1998. Ich denke, nach 25 Jahren können die damals an der Planung und am Bau Beteiligten zu Recht behaupten, dass sie das Haus sehr solide und robust gebaut haben.
Welche Einschätzung würde dazu die Betreiberin, die KKL Management AG abgeben?
SZ: Mit Luzern hatten wir leider nie einen intensiven Austausch. Ganz anders erlebte ich die Beziehung zum Konzerthaus in Kopenhagen. Von dort erhielten wir nach der Fertigstellung fast monatlich eine Rückmeldung zu verschiedensten baulichen und betrieblichen Themen, sogar zu den Leuchten in den vier Sälen. Der Vergleich zwischen den beiden Projekten hinterliess bei mir den Eindruck, dass die Betreiberin in Luzern nicht wirklich sehr engagiert für den integralen Erhalt der Architektur sorgt.
Was könnte der Grund dafür sein?
SZ: Ich glaube, die Wertschätzung gegenüber dem Gebäude und all jenen, die das KKL erdacht und gebaut haben, ist nicht ausreichend vorhanden. Das kulturelle Umfeld mit einem generell eher tiefen Stellenwert der Architektur kommt dazu. Um beim Vergleich mit Kopenhagen zu bleiben, kann ich zwei Beispiele nennen: Die dänische Hauptstadt ist in diesem Jahr die Bühne für die UNESCO-Welthauptstadt der Architektur. Zudem setzte Kopenhagen schon früh auf die Nachhaltigkeit im Bauen. Bereits in der Planungsphase für das Musikhaus setzte die Bauherrschaft ab 2004 auf nachhaltige Vorgaben. Das hatte zur Folge, dass auf der Baustelle drei Leute bis zu jeder Fuge wissen wollten, um welches Material es sich handelte, und wie es wiederverwendet wird.
Ich glaube, die Wertschätzung gegenüber dem Gebäude und all jenen, die das KKL erdacht und gebaut haben, ist nicht ausreichend vorhanden.
Jetzt, wo du dein Büro wieder in Luzern hast, kannst dich ja für die hiesige Baukultur engagieren.
SZ: 2003-2004 war ich im Amt für Städtebau in Zürich tätig und damals schon sehr nahe an der Politik. Regula Lüscher leitetet damals im Hochbauamt die Abteilung Stadtentwicklung. Sie holte mich von Berlin nach Zürich. Unter dem Titel «Begleitung Stadtarchitektur» habe ich Projekte vor dem eigentlichen Bewilligungsverfahren beurteilt. Spannend war für mich weniger die Politik, sondern der fachliche Austausch unter Berufskolleg:innen. Letztlich waren jedoch die Aufgabe und die vielen Streitereien um ungenügende Projekte für mich nicht abendfüllend. Also bewarb ich mich in Luzern als Stadtarchitekt – leider vergeblich.
Was hätte dich als Stadtarchitekt in Luzern denn ausgezeichnet?
SZ: Bestimmt mein Einsatz für mehr planerische und bauliche Experimente. Bei der Siedlung «Himmelrich» in meiner Nachbarschaft hätte ich daraufhin gewirkt, dass keine Neubausiedlung entsteht.
Aber das Quartier ist doch eindeutig beliebter und dichter, d.h. auch nachhaltiger geworden.
SZ: Aus meiner Sicht ist das, was jetzt im Himmelrich steht, nicht besser als die ursprüngliche Siedlung. Mit der Aufzonung sind wertvolle Vorgärten und damit Grünraum verloren gegangen. Anstelle der durchgängigen, ehemaligen Zeilenbebauung bestimmen jetzt ein dreieckiger Pseudoblockrand mit einem gigantischen Hof und viel Asphalt die Siedlung. Die frühere Massstäblichkeit ist dadurch aus meiner Sicht verloren gegangen. Ich wohne direkt in der Nachbarschaft, durchquere deshalb den Hof fast täglich: Er ist stumm. Zudem frage ich mich, wie lange die gewerbliche Mantelnutzung, die neues Leben bringen soll, an diesem Standort überleben kann. Und a propos Dichte: Ich behaupte sogar, dass in der alten Siedlung in den kleineren Wohnungen mehr Menschen bzw. mehr Kinder gewohnt haben als in der Neubausiedlung.
Gibt es ein Gebäude, von dem du sagst, das ist ein typischer Bau von mir?
SZ: Ich zeige einer Bauherrschaft nie zuerst meine eigenen Bauten, weil jedes neue Gebäude dem Wunsch und den Absichten der Bauherrschaft entsprechen muss, nicht irgendeiner Idee von mir. Klar mache ich hie und da Hinweise auf das Blaue Haus in Oerlikon, oder ich erwähne den Hirschen in Oberkirch. Mein Lieblingsgebäude ist aber tatsächlich immer das zuletzt gebaute. Von dem nehme ich jeweils an, es sei bisher das Beste gewesen, was ich planen und bauen konnte. (lacht). Aktuell sind es die Ferienwohnungen, die wir 2022 im Walliser Dorf Zeneggen, oberhalb von Visp, fertiggestellt haben.
Eine Frage interessiert mich noch: Man hat dich in den letzten Jahren in Luzern oft mit Rollkoffer am Bahnhof Luzern angetroffen. Hast du einmal ausgerechnet, wie viele Kilometer du auf deinen jahrelangen Reisen nach Paris ausgesessen hast?
SZ: Die Reise von Luzern nach Paris und zurück war die Kurzdistanz. Oft bin ich direkt von Luzern aus nach China oder Abdu Dhabi gereist. Ich fand also immer wieder die Zeit, meine Reisekilometer abzuschätzen. In den Jahren zwischen 2011 und 2020 bin ich jedes Jahr geschätzt dreimal um die Welt gereist. Das sind rund 120’000 Kilometer pro Jahr – während fast zehn Jahren.
Dann hast du jetzt bestimmt genug vom Reisen.
SZ: Ganz und gar nicht. Reisen ist für mich die beste Zeit, um zu arbeiten. Im Flugzeug bin für mich allein und kann ungestört sechs oder sieben Stunden arbeiten, ohne Anrufe und ohne E-Mail. Das gilt noch mehr für Reisen mit dem Zug: Es gibt für mich keinen besseren Moment, um konzentriert zu arbeiten, als in den zwei Stunden von Luzern ins Wallis.
Das klingt gar nicht nach Ruhestand, du bist 66.
SZ lacht: Das Thema Ruhestand beschäftigt mich kaum. Ich werde trotzdem regelmässig damit konfrontiert, weil ich verschiedenen Institutionen Rede und Antwort stehen darf, wie es denn nun mit meiner beruflichen Tätigkeit weitergeht. Meine Antwort lautet ganz einfach: Vorerst mit dem Büro in Luzern.
Danke für das Gespräch.
Das Interview fand am 2. August 2023 statt. Es handelt sich um einen redaktionellen Beitrag, der ohne die Verwendung von Text- oder Bildgeneratoren entstanden ist.
- Die Agence France-Museums (AFM), oder France Muséums, ist eine private französische Gesellschaft mit öffentlichen Anteilseignern, zu denen in erster Linie das Louvre-Museum gehört. ↩︎
- Gemäss Abu-Dhabi.de hängen dort zeitweise legendäre Werke der westlichen Kunstgeschichte u.a. Leonardo da Vincis „La Belle Ferronniére“, Jacques-Louis Davids mitreißendes Napoleon-Porträt sowie Gemälde von Vincent van Gogh, Manet, Monet oder Piet Mondrian. ↩︎