25 Jahre KKL: Eine ausführliche Kritik am Beitrag von Axel Simon in der Zeitschrift Hochparterre.

Der Beitrag “Baut Bühnen statt Bilder!” in der Ausgabe 10/23 von Hochparterre erregt Aufmerksamkeit, weil er verschiedene Perspektiven und Meinungen miteinander konfrontiert. Im Kielwasser der Feierlichkeiten zu 25 Jahren Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) setzt die Kritik von Axel Simon prätentiös und mit lakonischer Simplizität an: „Gefeiert wurde das KKL schon genug.“

Zu Beginn seiner Recherche initiiert der Autor einen dialogischen Akt, der das Jubiläum im Disput zwischen marketinginduzierten Slogans – „Stolz vieler Luzerner“ – und der Meinung einer Bekannten vor Ort verhandelt. Sie bewege sich, so der Text, in der alternativen Luzerner Kulturszene, könne aber nicht sagen, wie der Platz unter dem Dach heisse (Anm: Europaplatz). “Sie geht auch nicht dorthin”, berichtet Axel Simon von seiner Recherche. Dem KKL-Dach attestiere sie, ergo aus der Ferne, eine instrumentelle Entfremdung, geschaffen für die mediale Vermarktung, nicht zum Verweilen. Und weiter wird sie im Heft zitiert: “Es gebe ein elitäres KKL-Innen und ein massentaugliches KKL-Aussen”.

“Ein Bau, ein Bild. Und eine Ego.” Das Ego heisst Jean Nouvel, seine Monografie “Jean Nouvel by Jean Nouvel”, sie wiegt sechs Kilo.

Geplagter Fisch

Ein investigativer Flaneur, Angestellter des KKL und von Axel Simon als “Freund” bezeichnet, beleuchtet dann mit leisem Zynismus den alltäglichen Lärm am Europaplatz, verursacht durch das Rauschen des Meili-Brunnens (!). Das Dach, auch Flügel am See genannt, “werfe den Lärm des Brunnenstrahls zurück”, so soll der Insider die Immissionen begründet haben. Der Leserschaft eröffnet sich eine allegorische Vorstellung: Die aquatischen Bewohner, früher schon durch Ablagerungen von Kupfer im Dachwasser gequält, werden nun von unhörbaren Klangwellen malträtiert: Ojemine. Ein Narrativ entfaltet sich, die Sprache, gefüllt mit surrealen Bildern, lässiger Nonchalance und unerwarteten Abbiegungen. Der Freund sagt im Bericht: “Der Platz ist kein schöner Ort”. Der Redaktor fasst zusammen: “Das KKL ist ein gebautes Bild”. Und nochmals der Redaktor, jetzt mit einem Paukenschlag: “Ein Bau, ein Bild. Und ein Ego.” Das Ego heisst übrigens Jean Nouvel. Die Fische bleiben stumm.

Lebendiges Klischee

Die fragil-melancholische Betrachtung im Abschnitt „Bau, Bild und Architektenego“ offenbart mehr als nur oberflächliche Kritik. Subtil lässt sie erahnen, dass hier ein Klischee bedient wird: Der fachmännische Blick aus Zürich auf Erfolgsgeschichten außerhalb der Metropole ist auch in diesem Fall nicht ohne einen gewissen Neid. Ein zugleich irritierender wie befreiender Gedanke: Die Perspektive des Textautors ist von einem “Das kann doch nicht alles gut sein” eingeschränkt. Verführt sie ihn dazu, die Erfolgsgeschichte in Luzern noch auf eine weitere Kurzformel zu reduzieren, “die See heisst”? Eine prominentere Lesart würde entgegnen: “Das KKL ist vor allem ein Dach, und das ist das Geniale daran.”1

Ein KKL, das (…) den deutschen Musiker und Unterhaltungskünstler Helge Schneider präsentiert – ist das elitär, massentauglich oder beides?

Angetrieben durch die getrübte Ferndiagnose zum KKL und belebt durch seinen erfrischenden Eindruck vom Besuch der Oper in Oslo2, setzt Simon zu einem Plädoyer für mehr öffentlich zugängliche und nutzbare Räume an. Sein Vergleich zwischen Oslo und Luzern blendet dabei den Kontext aus, was Widersprüchlichkeit offenbart: Auf der einen Seite stehen die noble Großzügigkeit und Offenheit der Oper. Sie ist finanziert durch Ölgelder und umhüllt mit einem weissen Marmorkleid aus Italien. Auf der anderen Seite steht das kulturpolitisch und medial fein kalkulierte KKL. In einem engen, stadträumlichen und politischen Korsett sowie mit einem Viertel des Oslo-Budgets hat sich das Grossprojekt in vier Volksabstimmungen behauptet.

Blick vom Europaplatz auf die temporäre Bühne der Määs. Im Hintergrund die Luzerner Seestadt aus dem 19. Jahrhundert. Bild: Stadtfragen GmbH 2023

Temporäre Stadt

Zugegeben: Das KKL sendet seine Kernbotschaft mit einer scharfkantigen architektonischen Überspanntheit in die Welt: Alles unter einem Dach! Der von Hochparterre 1998 verliehene “Hase in Gold” war trotzdem verdient. Um schliesslich noch den Vorwurf im Hochparterre zu entkräften, am Europaplatz gebe es eine Trennung zwischen einem noblen Innen- und einem populären Aussenleben, könnte man zurückfragen: Wer führt den diesen Elite-Diskurs an, und was charakterisiert „Massentauglichkeit“? Ein KKL, das auf seinen Innen- und Aussenbühnen, neben vielen anderen Anlässen, die Konzerte von Lucerne Festival, Filmmusik von “Pirates of the Caribbean” oder den deutschen Musiker, Unterhaltungskünstler, Komiker, Kabarettist, Schriftsteller und Schauspieler Helge Schneider3 präsentiert – ist das elitär, massentauglich oder beides? Und weshalb überträgt das Lucerne Festival Konzerte live auf dem Inseli, und die Masse hört und schaut gerne zu?

Seit der Eröffnung 1998 hat sich die Atmosphäre am Europaplatz gewandelt. Pausen gehören zur DNA der temporären Stadt.

Ein letzter Einwand zur Diagnose und Kurzformel “Ein Bau, ein Bild.” wäre dann noch dieser: Ja. Das Unternehmen KKL wurde 1992 in ein verführerisches Bildprojekt4 gepackt und so der Öffentlichkeit präsentiert. Die Darstellung mobilisierte in den Köpfen der lokalen Bevölkerung den für Luzern typischen, touristischen Sightseeingblick. Dadurch vermied man u.a. die populäre, öffentliche Haushaltsdiskussion über ein weit auskragendes Flachdach. In barock-selbstverliebter Manier schaute Luzern in die Zukunft der Stadt und der Landschaft. Heute lösen Terrassen und Aussichtsfenster architektonisch ein, was damals bildlich versprochen worden war. Die Atmosphäre am Europaplatz hat sich seit 1998 jedoch stetig gewandelt – innerhalb des Gebäudes, unter dem Dach oder entlang des Seeufers: Für viele Menschen hat sich der Stadtraum östlich des Bahnhofs zu einer lebendigen, vielfältigen und pulsierenden städtischen Bühne entwickelt – sie ist mal klein, mal groß, mal leise, mal laut, mal legal, mal illegal, mal hell und mal dunkel. Die im Hochparterre als getrennt dargestellten Sphären “Hochkultur” und “Stadtgesellschaft” verschmelzen, kreuzen sich und inspirieren sich gegenseitig – wenn auch für eine begrenzte Zeit. Und das ist gut so: Ruhe und Kräftigung in Pausen gehören zur DNA der temporären Stadt.

Ein inklusiver Stadtraum ist sicher, bezahlbar, widerstandsfähig und für alle Menschen ohne Diskriminierung zugänglich und nutzbar.

Eine Vision zum Schluss

Ein inklusiver, städtischer Ort ist in der Theorie der Stadtentwicklung sicher, bezahlbar, widerstandsfähig und für alle Menschen ohne Diskriminierung zugänglich und nutzbar. Diesen Anspruch einzulösen, wäre für das KKL Luzern eine zukunftsfähige Vision. Die Umsetzung würde an die Kulturstadt Luzern neue kulturelle, politische, betriebliche und wirtschaftliche Anforderungen stellen. Eine Kritik in der Fachzeitschrift Hochparterre, die das KKL zum Geburtstag aus der Distanz, eher zeitverspätet, auf Kurzformeln reduziert und mit saloppen Hinweisen auf Freunde und Bekannte beurteilt, mag prahlerisch wirken. Sie trägt jedoch kaum zu einem fruchtbaren Diskurs über tragfähige Zukunftsaussichten in Luzern oder Zürich bei. Dennoch: Die Haltung hinter dem Artikel “Baut Bühnen statt Bilder!” ist besonders für den zukünftigen Umgang mit Kulturhäusern von Bedeutung.

  1. Jacques Herzog, Veranstaltungsreihe “KKL Impuls” im KKL Luzern, Stadtfragen.ch, 3. Mai 2018 ↩︎
  2. vgl. dazu: Oslo und seine Fjord City: Eine Stadtvision im Umbau, Stadtfragen.ch, 16. März 2022 ↩︎
  3. Helge Schneider ist am 10. Dezember 2023 zu Gast im KKL. ↩︎
  4. Zum Thema KKL als Bildprojekt: «Die Vision ist erwachsen», Stadtfragen.ch, 12. Juni 2014 ↩︎

Die Redaktion des Beitrags erfolgte u.a. mit ChatGPT-4.