Die niederländische Stadt Almere präsentiert von April bis Oktober die Floriade 2022, fünfeinhalb Meter unter dem Meeresspiegel. Stadtfragen widmet sich derweil Almere Oosterwold.
Almere. Nimmt in den Niederlanden eine Seilbahn den Betrieb auf, ist das einigermassen erstaunlich. Es sei denn, die Kabinen schweben horizontal über einem Ausstellungsgelände, so wie gerade an der Floriade 2022 in Almere. Der Anlass ist eine thematische Variante einer World Expo und findet alle zehn Jahre statt. Das Leitthema Growing Green Cities steht programmatisch für den Austragungsort, der 20 Autominuten ausserhalb von Amsterdam liegt: Almere ist eine wachsende Stadt, und ihr mehrkerniges Gefüge aus verschiedenen Stadtteilen ist mit der natürlichen Landschaft, mit Naturparks, dem Markermeer, dem Ijmeer und dem Gooimeer eng verwoben. Almere ist überdies die jüngste Stadt in den Niederlanden. Sie wurde 1974 auf einem Polder ausserhalb von Amsterdam gegründet, notabene um günstigen Wohnraum anzubieten. Heute leben hier 217’000 Einwohner:innen. Zum Wesen der selbsternannten Pionierstadt gehört es, dass sie ihre Innovationskraft als so genannte New Town immer wieder neu unter Beweis stellen muss. Almere verfolgt mit den Almere Principles schon seit über zehn Jahren eine Nachhaltigkeitsstrategie, die immerhin von William McDonough, einem der Erfinder der Kreislaufwirtschaft (Cradle to cradle, 2002), mitverfasst wurde. In der Nachbarschaft zu Amsterdam und darüber hinaus gilt Almere dennoch als eher langweiliger jedoch lebenswerter Ort mit Platz für Wachstum und (noch) zahlbaren Landpreisen.
Grün, produktiv, gesund und smart
Internationale Ausstellungen müssen ihr Publikum nicht nur anlocken, sondern vor allem unterhalten können. Die Floriade 2022 will sogar mehr, sprich: das Publikum dazu inspirieren, künftig nicht nur grüner, sondern auch gesünder zu leben. Ihre gemeinsame Geschichte zur Zukunft der wachsenden und grünen Stadt erzählen die Sponsoren, die Veranstalter und die Teilnehmenden in vier eingängigen Kapiteln: Greening the City – grüne Städte sind per se lebenswert. Feeding the city – für die Ernährung der Stadt zu sorgen, ist nicht länger ein Vorrecht der Landschaft. Healthying the City – wer gesund ist, hat mehr Lebensqualität und engagiert sich eher für die Gemeinschaft. Energising the City – die nachhaltige Energieversorgung zu sichern, ist keine Option mehr, sondern eine unverzichtbare Aufgabe. Umgesetzt sind die Themen auf einer Fläche von 60 Hektaren und in fünf übersichtlichen Teilgebieten. Für die Länderpavillons (die Schweiz ist nicht vertreten), Gartenanlagen, Events, die Gastronomie, eine eindrückliches Gewächshaus sowie einzelne weitere thematische Beiträge und Attraktionen ist somit reichlich Platz vorhanden. Wem die Strecken zu Fuss zu lang sind, nimmt die eingangs erwähnte Seilbahn, ein öffentliches Verkehrsmittel, dass an der Floriade ebenfalls für die Stadt der Zukunft steht.
Auftakt zu einem neuen Stadtquartier
Das Gelände der Floriade liegt am See Weerwater auf einer Halbinsel. Von dort aus ist der Blick auf die Waterfront und die Skyline von Almere Stad besonders eindrücklich. Die Innenstadt wurde nach dem Masterplan von OMA (Rem Koolhaas) geplant und zwischen 1994 und 2010 von einem bunten Strauss internationaler Stararchitekt:innen baulich umgesetzt, unter ihnen: OMA, MVRDV, Christian de Portzamparc, SANAA, Dvid Chipperfield, Gigon & Guyer und Alsop. Wenn auch nicht eine derart mächtige, aber dennoch ein substanzielle Immobilienentwicklung steht dem Expogelände noch bevor. Nach der Floriade entsteht hier das autofreie Stadtquartier Hortus mit Flächen und Räumen für Firmen, Bildungsinstitutionen und Wohnungen. Die baulichen Vorboten sind an der Floriade schon präsent: das Pflegezentrum Flora (ein übermächtiger Fremdkörper), das Hochschulgebäude der Aeres sowie der 43,5 Meter hohe Turn Flores in der Mitte des Ausstellungsgeländes (Titelbild). Seine bunte Fassade fasst das Floriade-Projekt Arboretum, eine Sammlung von Bäumen, Pflanzen und Blumen als Kunst am Bau zusammen. Das eigentliche Arboretum hat das Büro MVRDV mit Hauptsitz in Rotterdam entworfen und umgesetzt. Subtiler und für eine Gartenbauausstellung angemessener als die erwähnten Hochbauten und die Kunst am Bau strukturiert das Arboretum das ganze Expogelände mit landschaftlichen Gestaltungsmitteln: Die Pflanzen und Bäume sind in alphabetischer Reihenfolge angeordnet und tragen im künftigen Stadtteil zu einem gesunden Klima bei.
Do-it-yourself in Oosterwold
Auch das Siedlungsprojekt Oosterwold Almere hat an der Floriade einen Auftritt. Fälschlicherweise am Standort Utopia Island, denn: Eine Utopie hört auf, Utopie zu sein, wenn sie sich als realisierbar erweist. Für das Entwicklungsgebiet im Südosten der Stadt erarbeitete MVRDV bereits vor zehn Jahren den Masterplan. Die Kernidee treibt den Gedanken der grösstmöglichen individuellen Freiheit, die eine Pionierstadt wie Almere zu bieten hat, auf die Spitze: Bauwillige Landkäufer erhalten in Oosterwold – neben der ersehnten Ruhe abseits des Stadtzentrums – den maximalen Spielraum bei der Anordnung und Gestaltung ihres Eigenheims. Allerdings: Mindestens die Hälfte der privaten Parzellenfläche ist einer landwirtschaftlichen Nutzung zuzuweisen, der Strassenbau sowie die Ver- und Entsorgung zudem individuell bzw. gemeinschaftlich zu lösen. Die Botschaft, dass in Oosterwold auf günstigem, ehemaligen Landwirtschaftsland eine experimentelle, ökofreundliche Selbstversorger:innen-Gemeinschaft – quasi ohne viel Staat – entsteht, wurde vor allem von Niederländer:innen gut aufgenommen. Dem Ruf, sich in Oosterwold den Traum vom Eigenheim zu erfüllen und Teil des Experiments Do-it-yourself-Urbanismus zu werden, folgten bisher über 1’500 Menschen. Gebürtige Inländer:innen machen in Oosterwold gemäss einer Erhebung von 2020 über 80 Prozent aus. In der Stadt Almere liegt deren Anteil bei etwas über 55 Prozent.
Die Floriade dauert noch bis zum 9. Oktober 2022.
Der Aufenthalt von Stadtfragen in Almere gilt hauptsächlich dem Projekt Oosterwold und wird von der Stiftung Otto Pfeifer mit dem PfeiferMobil unterstützt.