Für einen kurzen Augenblick verbindet sich am Rotsee, aus dem Zug von Luzern nach Zürich betrachtet, der neue Zielturm mit der Landschaft. Andreas Fuhrmann und Gabrielle Hächler haben den Holzturm 2013 gebaut. Das Gebäude ist ein Geheimniskasten; monumental und zugleich ganz in der Umgebung der Naturarena und in sich selbst verankert.

Architektur hören: “Es ist wieder Rudern

Der neue Zielturm ist ein Holzstapel, der sein Gesicht immer dann wechselt, wenn am Rotsee eine Regatta gerudert wird: Dann öffnet das kleine Gebäude, es steht mit seinen Füssen im Wasser, seine Schiebefenster. Zuerst, in den Tagen der Vorbereitung und Trainings, nur teilweise. Während der nationalen und internationalen Regatten dann in der ganzen Breite und über alle drei Geschosse.

Die Architekten erzählen gerne davon, dass sie eine bewegliche Skulptur in die Landschaft gesetzt haben: “Drop-Sculpture” nennen Fuhrmann/Hächler das Gebäude. Damit sagen sie deutlich, dass das Gebäude nicht nur die Zeit der Sportler:innen auf dem See messen kann. Es soll in der Naturlandschaft des Rotsees auch zum Diskurs über Architektur und Kunst im öffentlichen Raum anregen. Was es braucht, damit dies gelingt, hat der amerikanische Künstler Richard Serra für seine eigenen Arbeiten formuliert: “Das Spezifische an standortbezogenen Arbeiten ergibt sich daraus, dass sie für einen Platz konzipiert werden, von ihm abhängig und untrennbar mit ihm verbunden sind.”

Der Zielturm öffnet sich, wenn Rudern ist (zVg)

Afgh setzten sich im anonym durchgeführten Architekturwettbewerb 2012 mit dem Kennwort “Himitsu Bako” durch – was soviel heisst wie „Geheimniskasten“. Ein Teil des Geheimnisses liegt darin, wie der hölzerne Stapel gleichzeitig etwas wackelig wirken, und sich dennoch prominent in der Rotsee-Landschaft behaupten kann. Was als Widerspruch gelesen werden kann, ist kein Zufall. Denn dahinter steckt ein architektonisches Verfahren, dass Mehrdeutigkeit nicht nur zulässt, sondern bewusst sucht. Die Augen der Betrachter:innen finden dadurch entweder wenig oder gar keinen Halt oder sie machen sich auf die Suche, was der Zielturm so alles zu bieten hat: Je nach Saison, Wetterlage. Licht und den Aktivitäten auf dem See wechselt der Holzstapel aus Fichtenholz seine Gestalt. Einmal wirkt er gross, dann wieder eher klein; die meiste Zeit ist er geschlossen und stumm, sanft eingebettet in die Landschaft. Offen und aktiv präsentiert er sich, wenn er die Zeit misst und  sogar global präsent ist, etwa dann, wenn der Rotsee zum sportlichen Schauplatz für internationale Fernsehübertragungen wird.

Die Architektur des Geheimniskastens am Rotsee ist monumental aber keine Frage der baulichen Masse. Sie verschafft sich ihre Aufmerksamkeit sowohl im Gebrauch als Sportgerät und als stille Skulptur in der Landschaft; mit viel Stil und gestalterischer Mehrdeutig. Am Rotsee gelingt dadurch der Spagat zwischen zwei gegensätzlichen Realitäten des Spektakels und der Naherholung. Wenn dies den Rudersportler:innen, Zug-Pendlern, Joggern und Hündelern am Rotsee mehr zu denken gibt, als auf den ersten flüchtigen Blick sichtbar ist, dann ist die Drop-Sculpure gelungen: Eine Baukunst, die in ihrer Grundhaltung offen ist, den realistischen Bezug zu den vorgefundenen Realitäten findet und dabei erst noch ganz bei sich selbst bleibt.

Bild Fernsehaufnahme Weltcup: Stadtfragen GmbH 2013